Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
zur Seite und riefen ihm Flüche hinterher. Die Dame entstieg ihrer Sänfte, um gemeinsam mit ihrer Amme zu einem Verkaufsstand zu spazieren. Adelind bewunderte die leuchtenden Farben ihres Gewandes, dessen Schleppe über den Boden fegte. Eitelkeit war sündhaft, ermahnte sie sich, doch gleichzeitig hätte sie gern gewusst, ob sie in dieser Aufmachung eine ebenso elegante Erscheinung sein könnte. Hildegard, die selbst in ihrem schlichten Kittel bewundernde Blicke auf sich zog, schenkte dem Gewand erwartungsgemäß keinerlei Beachtung.
» Ich habe so schrecklichen Hunger « , murmelte sie nur. » Seit ich das Kloster verlassen habe, habe ich nichts mehr gegessen. «
Adelind wurde bewusst, dass ihr eigener Magen ebenfalls vor Leere schmerzte, obwohl Brigitta ihr gestern zum Abschied noch eine warme Brühe gebracht hatte.
» In der Hütte, gab es da gar nichts? « , fragte sie entsetzt.
» Ein paar trockene Brotrinden, aber für die musste man zahlen « , antwortete die Schwester.
Adelind fragte sich, ob die Bettler Hildegard einfach hätten verhungern lassen, nachdem sie ihr alles Geld abgenommen hatten. Was für eine Welt hatte Gott der Herr erschaffen?
» Wir essen jetzt etwas. Ich habe noch Geld « , meinte sie entschlossen. Hildegards Gesicht bekam ein wenig Farbe. Sie folgten dem verlockenden Bratengeruch, den sie in unmittelbarer Nähe wahrnahmen, und erwarben eine dicke Scheibe Schweinebraten für Adelind und eine Gemüsebrühe, die Hildegard so schnell aß, dass ihr der Sabber übers Kinn lief. Danach teilten sie sich einen Krug Bier. Es war erstaunlich, wie schnell ein voller Magen der Welt mehr Glanz und Schönheit verleihen konnte. Auf einmal wollte Adelind nicht mehr glauben, dass sie nur von Bosheit beherrscht wurde.
» Jetzt suchen wir den Schwager von Schwester Brigitta. Dort kommen wir wenigstens für ein paar Tage unter « , erklärte sie voller Tatendrang und fragte Hildegard nach dem Namen. Karl Torweger hieß er, weil sich sein Handelshaus in der Nähe des südlichen Stadttores befand. Sie irrten eine Weile durch das Treiben des Marktes, dann fragten sie einen zerlumpten Jungen, der so unauffällig wie möglich um die Verkaufsstände herumschlich. Sobald Adelind ihm das letzte Stück ihres Bratens überreicht hatte, lief er sogleich los.
Wieder ging es durch enge, vom Tageslicht nur schwach erhellte Gassen. Sie steckten bis zu den Knöcheln in Pfützen aus geschmolzenem Schnee und Schmutz, dessen Zusammensetzung Adelind besser nicht wissen wollte. Selbst der Hof des Klosters war sauberer gewesen.
» Gleich sind wir da, edle Frauen, denkt an Johann, der euch so schnell und sicher ans Ziel führte « , wandte der Junge sich erwartungsvoll zu ihr um. Adelind sah seine eingefallenen Wangen und staunte, wie alt die dunklen Schatten unter seinen Augen ihn wirken ließen, obwohl er kaum mehr als sieben Jahre zählen konnte. Nach kurzem Zögern griff sie in den Beutel unter ihrer Decke und zog einen Pfennig heraus.
» Da, nimm. Du hast uns einen großen Dienst erwiesen « , sagte sie und drückte ihm die Münze in die verdreckte Handfläche. Seine Augen blitzten freudig auf. Er zeigte mit dem Finger auf ein auffallend großes, blau gestrichenes Haus am Ende der Gasse.
» Dort wohnt Karl Torweger, der mit Tuch und Safran handelt. «
Adelind atmete erleichtert auf. Wenn dieser Mann nur einigermaßen Brigittas Beschreibung entsprach, dann waren sie erst einmal in Sicherheit.
In diesem Moment öffnete sich die Eingangstür. Adelinds Herz blieb fast stehen, als sie zwei Männer in den dunklen Kutten einfacher Geistlicher erblickte. Sie versetzte Hildegard einen Schubs, um sie in einen Hauseingang zu schieben.
» Dreh dich um und tue so, als würdest du klopfen. Sieh denen bloß nicht ins Gesicht « , zischte sie. Hildegard gehorchte. Auch der kleine Johann schien sogleich zu begreifen, denn er verdrückte sich in eine dunkle Ecke. Adelind legte ihren Arm um Hildegards Schulter und versuchte, eine angeregte Unterhaltung vorzutäuschen. Im Geiste dankte sie Brigitta für die schäbig unscheinbare Kleidung, mit der auch Hildegard ausgestattet worden war. Nur die dunklen Schleier auf ihren Häuptern mochten an Nonnen erinnern, aber schlimmer wäre es gewesen, das kurze Stoppelhaar zu zeigen. In ihrem Rücken hörte sie die Füße der Geistlichen durch Schmutzpfützen planschen. Die Straße war nun recht leer, sodass auch Stimmengemurmel an ihre Ohren drang.
» Ich glaube nicht, dass sie dort ist,
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