Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
das lange Schweigen wurde ihr unangenehm, und zudem tat es wohl, endlich über diese Dinge sprechen zu können. » Wir mussten einander alle beistehen, ich konnte Hildegard nicht einfach wie Luft behandeln, obwohl ich ihr eben das angedroht hatte. Wir wuchsen wieder zusammen, so wie es unser ganzes Leben lang gewesen war. Und jetzt… jetzt ist sie tot, für ihren Glauben gestorben. Ich kann dieser Kirche nicht den Rücken zuwenden, nun, da sie bedroht ist. Es wäre ein Verrat an Hildegard und auch an Esclarmonde, die so viel für mich getan hat. Aber in Wahrheit wurde ich nur wegen meiner Schwester eine Perfacha, und jetzt habe ich keine Schwester mehr, und ich weiß nicht… ich weiß nicht, wie ich den Rest meiner Tage auf dieser Welt ohne sie ertragen soll. «
Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Schluchzer zerrissen ihren Körper, und sie rollte sich zu einem Ball auf der Erde zusammen, weinte, schnappte nach Luft, zuckte und wimmerte wie ein verlassenes Kind. Peyres streichelte weiter schweigend ihren Rücken, stand einmal auf, um ihr einen Becher Wasser zu bringen, und blieb an ihrer Seite sitzen, bis sie endlich in erlösenden Schlaf fiel. Vogelgesang weckte sie im Morgengrauen. Sie sah Peyres neben sich liegen. Seine Hand hielt immer noch die ihre umklammert, und sie entzog sie ihm sanft, damit er noch eine Weile schlafen konnte, während sie zu Olivette in die Hütte schlich. Ihr wurde bewusst, dass sie zum ersten Mal seit Hildegards Tod tief und fest geschlafen hatte.
Zwei Tage später erreichten sie Dun, das völlig unverändert schien. Die Burg thronte auf einem Hügel über dem Dorf, der Weizen wuchs in vielversprechender Pracht, und das helle, von den Katharerinnen bewohnte Steinhaus stand so völlig heil und unversehrt da, dass Adelind Freudentränen in die Augen schossen. Sie sprang zusammen mit Olivette vom Wagen und lief in den kleinen Kräutergarten, der während ihrer langjährigen Abwesenheit noch ausgebaut worden war. Sie sah, wie die Eingangstür sich öffnete, und blickte in ein vertrautes Gesicht. Biatris war dünn geworden, was vermutlich an den vorgeschriebenen Fastenzeiten lag. Sie hatte immer noch die Bernsteinaugen ihres Bruders, doch wirkte ihr Gesicht bleich und eingefallen. Zudem schien sie wesentlich älter, als Adelind sie in Erinnerung hatte, doch als ihre Augen glücklich zu leuchten begannen und sie den Neuankömmlingen mit einem Freudenschrei um den Hals fiel, da glich sie einem frischen jungen Mädchen.
» Dem Himmel sei Dank, ihr seid entkommen! «
Peyres stöhnte kurz auf, als sie seinen verletzten Arm berührte, und Adelind erklärte ihr, dass der Bruder eine Schnittwunde abbekommen hatte. Olivette übernahm es, den Rest der Geschichte zu erzählen, während sie ins Haus gingen und einige Mädchen ein Mahl herzurichten begannen. Biatris lauschte völlig gefasst, nur die Nachricht von Rosas und Hildegards Tod ließ einen Schatten über ihr Gesicht ziehen.
» Wir alle müssen nun damit rechnen, selbst vor einer so schweren Entscheidung zu stehen « , sagte sie ernst. » Ich bete zu Gott, dass ich ebensolche Kraft finde wie diese zwei sociae. «
Olivette nickte zustimmend. Adelind staunte über die Leere in ihrem Inneren. Sie sehnte sich nicht mehr danach, ebenso zu sterben wie Hildegard, ja, etwas in ihr schrie lautstark nach Leben.
Zwei junge Mädchen verteilten im Speisesaal Weintrauben und einen Kräutersud als erste Stärkung, denn es würde noch eine Weile dauern, bis das Mittagsmahl fertig war. Adelind ließ ein paar satte tiefblaue Früchte auf ihrer Zunge zergehen, denn in den letzten Tagen fühlte sie sich ständig hungrig. Zu ihrem Entsetzen stiegen sie aber sogleich wieder aus ihrem Magen hoch. Sie schaffte es gerade noch, eine Hand vor ihren Mund zu halten und rasch wieder in den Kräutergarten zu flüchten.
» Seid Ihr sicher, dass alles in Ordnung ist? « , vernahm sie Olivettes besorgte Stimme in ihrem Rücken, wischte sich schnell den Mund ab und drehte sich um. Es ärgerte sie, dass Esclarmondes Tochter nun über sie wachen wollte wie eine fürsorgliche ältere Schwester, aber sie wusste, dass dieses Empfinden ungerecht war. Es musste an Hildegards Tod liegen, dass sie selbst so reizbar geworden war.
» Ich hatte Hunger und habe die Trauben wohl zu schnell verschlungen « , sagte sie rasch und kam mit einem bemühten Lächeln auf Olivette zu.
» Ihr habt Euch während der Reise öfters erbrochen, meist morgens « , fiel Esclarmondes Tochter ihr
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