Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Enttäuschung über Esclarmondes Verhalten ließ nach, denn auf einmal wurde sie neugierig. Sie hatte die Gräfin bisher niemals als hilfloses junges Mädchen gesehen, das sich den Wünschen des Familienoberhaupts fügen musste.
» Am Tag meiner Hochzeit drohte ich, mich umzubringen, aber niemand nahm mich ernst. Und als ich oben auf den Zinnen der Burg stand und erwog, mich in die Tiefen zu stürzen, da verließ mich plötzlich der Mut. Ich konnte es nicht. Und so wurde ich Jourdains Ehefrau. «
» Aber Ihr wart nicht unglücklich? « , bohrte Adelind nach. Sie wusste, wie manchmal mit Frauen umgegangen wurde, und erschrak bei der Vorstellung, die Gräfin hätte ein ähnliches Schicksal erleiden müssen wie ihre eigene Schwester bei Pater Severinus.
» Am Anfang, ja, da war ich es, denn ich saß allein in einer fremden Burg « , erzählte Esclarmonde nun. » Jourdain kam in der Hochzeitsnacht nicht zu mir. Er gab seinen Dienern Geld, damit sie nicht darüber sprachen. Zunächst führte er mich nur in meinem neuen Zuhause herum, zeigte mir seine Ländereien und stellte mich den Dorfbewohnern vor. Er war überaus höflich, doch wahrte er Abstand zu mir. Manchmal las er mir vor oder spielte auf der Laute, obwohl er es nicht besonders gut konnte. Er wusste, dass ich Musik mochte. Ein Monat war vergangen, da liebte ich meinen Mann. So sehr, dass kein Platz mehr in meinem Herzen für andere Menschen war. Meine Kinder beachtete ich kaum, sie wurden eben geboren. Es gab nur Jourdain für mich. Und als er starb, da gab es nichts mehr als Leere. «
Adelind fuhr zusammen. Sie kannte dieses Gefühl, das der Tod eines geliebten Menschen hinterließ, doch hatte sie die Gräfin für zu stark und zielstrebig gehalten, um derart von Schwermut in die Knie gezwängt zu werden.
» Ihr habt den Weg zu Gott gefunden « , versuchte sie Esclarmondes Geschichte in die ihr bekannte Richtung zu lenken.
» Aber ja, natürlich « , stimmte die Gräfin zu. » Gott half mir. Ich wollte für seine wahre Kirche kämpfen, das gab meinem Leben Sinn. Ich schenkte ihr meine ganze Kraft und auch die Erträge der Ländereien, die mein Gemahl mir hinterlassen hatte. Mein ältester Sohn nahm es hin, obwohl sein Erbe dadurch geringer wurde. Ich wünsche mir… «
Ein Hustenanfall unterbrach sie, doch spuckte sie weiterhin kein Blut.
» Ich wünsche mir, ich hätte mehr Zeit mit meinen Kindern verbracht. Ich gab sie fort, zu Ammen, zu Verwandten, die sie angemessen erzogen. Aber nun, da sehe ich mich selbst in Olivette. Und ich erkenne auch Jourdain in ihrem roten Haar, in ihrer stillen, aber hartnäckigen Art, um meine Liebe zu kämpfen. Ich danke Gott, dass ich dieses eine meiner Kinder noch einmal treffen konnte. «
Esclarmonde lehnte sich auf dem Kissen zurück. Ihre Lider fielen zu, aber sie atmete ruhig und entspannt. Adelind stand auf und ging leise aus dem Zimmer. Wieder meinte sie, durch unübersichtliches Gelände zu irren, sehnte sich nach einem klaren Ziel, das sie irgendwann aus den Augen verloren haben musste. Ohne weiter nachzudenken, legte sie eine Hand auf ihren Bauch, eine Geste, die sie einst an Hildegard beobachtet hatte.
Hildegard hatte ihr totes Kind nicht geliebt. Esclarmonde liebte Olivette, nun, da sie fieberte und dem Tod ins Auge sah. Sie wusste nicht, welche Gefühle sie selbst für dieses Wesen hegte, das in ihr heranwuchs. Aber die Erkenntnis, dass es wuchs und ihr eigenes Leben dadurch völlig durcheinanderbrachte, konnte sie nicht länger aus ihrem Denken verbannen.
Zwei Wochen später hustete Esclarmonde nur noch selten, und das Fieber hatte nachgelassen. Olivette hatte sie fast ununterbrochen gepflegt und alles Wissen, das sie von Adelind und Ursanne erworben hatte, angewandt, um die Kräfte ihrer Mutter wieder zu stärken. Bald schon brauchte sie keine Ratschläge mehr. Aus Olivette versprach eine geschickte heilkundige Perfacha zu werden, so wie es stets Esclarmondes Wunsch gewesen war. Adelind wollte sich nicht eingestehen, dass sie unter Neid litt, denn dieses Gefühl war sündhaft. Aber wenn Esclarmonde sie nicht mehr brauchte, dann wäre sie nur noch eine Fremde in diesem Land, das nicht ihre Heimat war. Ihre einzige Verwandte war Hildegard gewesen.
Die sociae trafen sich zum Mittagsmahl im Gemeinschaftssaal der domus. Diesmal war auch Philippa von der Burg gekommen, wo sie sich hauptsächlich aufhielt, denn sie überließ die Verwaltung des Hauses weitgehend Biatris. Es gab keinen katharischen Prediger
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