Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
mehr, sodass Esclarmonde das Brot brach und das gemeinsame Gebet begann. Ihre Stimme klang wieder energisch und klar. Ihr Gesicht war voller geworden. Nur die dunklen Schatten unter ihren Augen deuteten darauf hin, dass sie eine schwere Krankheit hinter sich hatte.
Aus der Küche wurden Forellen und gedünstetes Gemüse hereingetragen. Der Wein war dünn, doch schmeckte er erfrischend. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Belagerung von Carcassona fühlte Adelind sich an die Zeit erinnert, da die ecclesia Dei eine starke, zuversichtliche Gemeinschaft gewesen war. Die sociae plauderten unbeschwert miteinander, doch vermochte Adelind den Gesprächen nicht zu folgen. Peyres war der einzige Mann, der noch in dem Haus verblieben war, denn der alte Simon lag seit zwei Jahren auf dem Friedhof des Dorfes, und Giullaume Clergue, von Esclarmonde als Diakon eingesetzt, weilte bereits in Montsegur. Adelind hatte den Umgang mit Peyres gemieden, und er selbst war ihr ebenfalls aus dem Weg gegangen. Doch nun saßen sie einander gegenüber. Obwohl sich ihre Blicke niemals trafen, spürte Adelind seine Gegenwart so stark, dass alle anderen Menschen dadurch verdrängt wurden. Sie fragte sich, ob dieses Wesen in ihrem Leib ebenfalls dunkle Haut und krauses Haar haben würde, dessen Länge sich verdoppelte, sobald es nass war.
» Es gibt gute Nachrichten « , verkündete Esclarmonde nach dem Gebet. » Ein Bote meines Bruders ist heute eingetroffen. Die meisten Kreuzfahrer sind abgezogen. Diesem Simon de Montfort bleiben gerade einmal hundert Männer. «
Ungläubige, aber frohe Stimmen erklangen. Auch Adelind überkam Erleichterung, dass kein riesiges Heer über die Grafschaft Foix herfallen würde.
» Guilhabert de Castres und auch die anderen zwei Bischöfe unserer Kirche sind weiterhin in Sicherheit, obwohl wir einige Brüder und Schwestern beklagen müssen, die für den wahren Glauben starben « , fuhr Esclarmonde fort und hob ihren Weinbecher. » Doch sind wir immer noch stark und werden uns von den Vertretern einer heuchlerischen, falschen Kirche nicht verjagen lassen. «
Begeisterter Applaus erklang, als sie den Weinbecher absetzte. Esclarmonde erhob sich, um nun lauter fortzufahren:
» Sie mögen versuchen, aus den Adeligen dieses Landes Faydits zu machen, indem sie unseren Besitz rauben. Diese Ritter aus dem Norden verstehen nichts von der Paratge, unserem Verständnis von Sitte und Ehre. Sie sind nichts weiter als Barbaren, die bald schon von den mutigen Kriegern dieses Landes in ihre unwirtliche Heimat zurückgejagt werden, wohin sie gehören! «
Nun wurden die Rufe der Zustimmung so laut, dass sie in Adelinds Ohren schmerzten. Sie schien sehr empfindlich in letzter Zeit, was vielleicht an ihrem Zustand lag, den sie immer noch nicht mit einem genauen Wort benennen wollte. Dennoch atmete sie erleichtert auf. Sie hatte ihre starke, entschlossene Gräfin wieder, die ihr den richtigen Weg weisen würde. Nur saß sie nicht mehr an ihrer Seite, war von Olivette verdrängt worden, die den Platz zwischen Mutter und Tante einnahm. Alle waren sie Mitglieder des einheimischen Hochadels, zu dem Adelind niemals gehören würde, doch bisher war das ohne jede Bedeutung gewesen.
» Meine Schwester hat beschlossen, zu ihrem Gemahl zurückzukehren, denn er wird in dieser schweren Lage ihren Beistand brauchen « , sprach Esclarmonde weiter, als es wieder ruhig geworden war. Philippa nickte nur knapp, um dies zu bestätigen. Adelind stimmte innerlich zu. Es war an der Zeit, dass die Burg von Pàmias wieder unter weibliche Obhut kam, ganz gleich, wie der Krieg ausgehen mochte.
» Ich werde mich an ihrer Stelle wieder um diese domus kümmern, mit dem Beistand meiner Tochter. Es sind zahlreiche Flüchtlinge auf dem Weg in das Land meines Bruders, wie Olivette mir mitgeteilt hat. Wir sollten uns darauf einrichten, ihre Wunden zu versorgen und ihnen wenigstens für eine Weile Unterschlupf zu bieten. Vielleicht werden auch sociae eintreffen, die bleiben wollen, um jene Lücken zu füllen, die in den letzten Wochen entstanden. «
Nun hatte das Mahl begonnen. Adelind verzehrte ihre Fischsuppe mit Appetit, denn es war wieder alles so, wie sie es einst gekannt hatte. Sie hatte in den letzten Tagen kaum noch an Übelkeit gelitten, was es ihr erleichterte, das unbequeme Wissen manchmal aus ihrem Denken zu verdrängen. Selbst wenn sie nicht mehr Esclarmondes enge Vertraute war, so hatte sie dennoch ihren Platz in der Gemeinschaft der ecclesia Dei, der
Weitere Kostenlose Bücher