Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Blick. Als Adelind keinen Hüpfer mehr tun konnte, da ihre Knie einsackten, warf Peyres sie schwungvoll über seine Schulter. Es war weder eine sonderlich bequeme, noch würdevolle Position, doch kamen sie so schneller aus der Stadt hinaus.
» Ihr scheint ein sehr edelmütiger, gutherziger Mensch « , erklärte Adelind, während ihre Wange an dem roten Leinenstoff auf Peyres Rücken klebte. » Wie kommt es, dass Ihr Menschen wie diesen Matthei kennt? «
Sie hörte ihn lachen und sah im Geist das Weiß seiner Zähne.
» Gott der Herr, zu dem Ihr jahrelang gebetet habt, hat diese Welt so erschaffen, wie sie ist. Und ebendiese Welt lässt Menschen so werden wie Matthei. Fragt ihn beim nächsten Gebet, was er sich dabei gedacht hat. Ich kenne übrigens sehr viele Leute. «
Hinter dem Stadttor tat sich eine glitzernde Schneelandschaft auf. Die Flocken fielen wieder, doch in der Enge des Elendsviertels waren sie Adelind kaum aufgefallen. Sie bemerkte, dass ihre Zähne inzwischen vor Kälte klapperten.
Vor einem brennenden Feuer blieb Peyres stehen, ließ Adelind sanft wieder zu Boden gleiten, sodass sie sich sehnsüchtig der Wärme entgegenstrecken konnte. Um sie herum fielen Schatten auf das eisige Weiß. Füße knirschten im Schnee. Eine dunkle Frauenstimme rief ein paar unverständliche Worte. Sie hörte Peyres antworten, doch vermochte sie auch ihn nicht zu verstehen. Es war eine fremde Sprache, hart und melodisch.
» Es ist sehr gütig von euch allen, uns aufzunehmen « , sagte Hildegard so leise, dass sie kaum zu hören war. Adelind blickte hoch. Über ihr schwebten drei fremde Gesichter. Ein alter, faltiger Mann, ein blasser Jüngling und schließlich eine Frau mit ebenso dunklem Haar wie Peyres, doch wesentlich hellerer Haut, deren ebenmäßige Glätte an Marmor erinnerte.
» Das sind meine Gefährten « , erklärte Peyres. » Simon, ein Wahrsager. Der Zahnkünstler Antonius. Und schließlich Marcia, die singt und tanzt. Dank ihr verdienen wir das meiste Geld. Wir sind fahrendes Volk. «
Im Hintergrund erblickte Adelind einen Wagen mit lederner Abdeckung, in dem sie bald darauf alle verschwanden, um sich vor dem Schneetreiben zu schützen. Zwei auf dem Lagerfeuer erhitzte Steine spendeten karge Wärme. Decken wurden über Schultern gelegt. Adelind teilte die ihre mit Hildegard und Peyres. Es tat erstaunlich wohl, den starken Körper des dunklen Mannes an ihrer Seite zu wissen.
» Wohin werdet ihr fahren, wenn ihr Köln verlassen habt? « , fragte sie.
» Gen Süden « , erwiderte Peyres. » Nach Dun am Fuße der Pyrenäen. Mein Zuhause und auch das von Marcia. «
Adelind fragte sich, wo dieser Ort wohl liegen mochte, denn sie hörte beide Namen zum ersten Mal in ihrem Leben.
» Hat fahrendes Volk denn ein Zuhause? « , meldete sich Hildegard plötzlich zu Wort. Peyres musterte sie nur kurz.
» Jeder Mensch ist irgendwo geboren. «
Hildegard nahm es hin. Adelind löffelte gierig die angebotene Suppe. Sie überlegte, wie froh ihre Schwester sein musste, dass die Nahrung des fahrenden Volkes kein Fleisch enthielt.
Bald darauf begann es zu dämmern, und sie legten sich nieder. Erleichtert, einen Unterschlupf für die nächste Nacht zu haben, kroch Adelind mit Hildegard unter eine Decke. Sie hörte den Wahrsager Simon husten. Antonius stieß rhythmische Schnarchgeräusche aus. Sie selbst fiel sehr schnell in einen bleiernen Schlaf, doch als ihre Augen sich öffneten, war es immer noch finstere Nacht. Der Schmerz pochte in ihrem Fuß, aber sie wusste, dass sie nicht allein davon aufgewacht war. Es musste die Zeit der Nokturn sein. Ihr Körper gehorchte selbst in völlig erschöpftem Zustand jahrelanger Gewohnheit.
Aus tiefstem Herzen dankbar, in dieser eisigen Kälte nicht aufstehen und beten zu müssen, schloss sie wieder die Augen. Sie hörte Geräusche, ein Flüstern, Kichern und Seufzen. Beunruhigt sah sie sich erneut um. Die Decke, unter der Peyres und Marcia neben ihr lagen, regte sich wie ein in seinem Schlaf gestörtes Waldtier. Ein nackter Fuß stieß daraus hervor, während die Geräusche lauter wurden. Marcia hatte zu wimmern begonnen, doch schwangen weder Schmerz noch Angst in diesen Lauten mit. Adelind wollte bereits nachfragen, was da vor sich ging, als die Erkenntnis sie wie eine Ohrfeige traf. Ihr Körper verkrampfte sich vor Widerwillen. Besorgt blickte sie zu Hildegard. Ihre Schwester atmete tief und ruhig, gnädiger Schlaf bewahrte sie davor, Zeugin der Sünde in ihrer unmittelbaren
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