Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
seiner Seite saß eine Frau, die ihn um einen halben Kopf überragte. Sie trug ein weißes Gebände mit Silberreif, aus dem ein paar krause rote Strähnen trotzig herausragten. Die hohen Wangen waren straff, und auch auf der Stirn wies ihre Haut kaum Spuren von Alter auf, sodass sie die Tochter des Burgherrn hätte sein können, wären sie nicht so offensichtlich nebeneinander platziert gewesen.
» Raimond de Bergers, Vasall des Grafen de Foix, begrüßt uns auf seiner Burg « , flüsterte Peyres ihr und Hildegard zu. » Wir sollen hier noch eine Weile seine Männer unterhalten, und zum Dank dafür können wir vielleicht im Schweinestall schlafen, denn sehr groß ist diese Burg nicht. «
Adelind staunte über das spöttische Funkeln seiner Augen. Als er den Burgherrn wieder ansah, war es verschwunden. Sie blickte ebenfalls auf, um sich nochmals ehrfurchtsvoll zu verneigen.
Im Schweinestall wäre es vielleicht warm. Und der Burgherr hatte gute Gründe, die Wölfe von dort fernzuhalten.
Zunächst sang Marcia, und Peyres spielte auf der Fiedel. Hier hatte die Gauklerin wieder ein Publikum, das für ihre Reize empfänglich war, denn ihre Darbietung zog sämtliche Köpfe von der Tischkante hoch, die Männer wippten mit den Füßen und grölten schließlich begeistert mit. Adelind gab eine Hymne zum Besten, als Marcia sich bereits unter die versammelten Ritter gemischt hatte, um ihren Geldbeutel zu füllen. Ihr fiel erstmals auf, dass die hübsche Gauklerin beim Kokettieren erschöpft aussah und das Lächeln auf ihrem Gesicht wie mit greller Schminke aufgemalt wirkte. Vielleicht merkte sie es nur, weil ihr selbst unwohl war. An den rotgetrunkenen Gesichtern der Männer prallte die Wirkung ihres Gesangs völlig ab, stattdessen nahm sie störendes Tuscheln wahr und ein paar Gesten, die eine unangenehme Ahnung in ihr weckten. Sie wünschte sich plötzlich sehnsüchtig, im Haus von Rogièr Malbruit geblieben zu sein.
Ihre Darbietung war kein Erfolg, und daher musste sie auch nicht weitersingen. Mit einem Seufzer der Erleichterung eilte sie an Hildegards Seite. Die Schwester, nun wieder mit züchtig bedecktem Haupt, hatte sich enger als jemals zuvor an Antonius geschmiegt, was an den Blicken all jener anderen Männer im Saal liegen musste. Sie schienen so eindeutig wie grapschende Hände oder grinsend dargebotene Münzen. Es dauerte nicht lange, bis einer der Ritter Hildegard an seine Seite zu winken begann. Sie versteinerte, und ihr Gesicht wurde so grau, dass es fast mit der Mauer in ihrem Rücken verschmolz. Antonius zuckte zusammen, um den Ritter mit zornig funkelnden Blicken zu durchbohren. Das Lachen wurde lauter, da kaum einer dieser muskulösen Ritter den schmächtigen Jüngling ernst nahm. Adelind verging der Appetit auf die dargebotenen Speisen, denn ihr wurde bewusst, dass sie als Gaukler völlig rechtlos waren. Sie würden es auch kaum schaffen, aus der Burg zu entkommen.
In ihrer Nähe verspürte sie eine Bewegung. Peyres war aufgestanden, und seine hohe, breitschultrige Gestalt vermochte mehr Eindruck zu machen als Antonius. Das Gelächter verstummte, während er ein paar Worte an den Burgherrn richtete, respektvoll, doch mit sehr fester und eindringlicher Stimme. Raimond der Bergers hob kurz die Hand, um seine Ritter zu ermahnen, deren Aufmerksamkeit sich dann wieder ganz auf Marcia beschränkte. Adelind begann plötzlich Dankbarkeit zu empfinden, denn die Gauklerin bewahrte sie und Hildegard vor dem, was ihnen beiden zuwider war. Dann ließ sie die wenigen Wörter, die sie von Peyres’ Rede verstanden hatte, in ihrem Kopf nachklingen. Sie war sich sicher, » bonòmes « – die guten Leute– gehört zu haben. Zudem Begriffe wie keusch und gottesfürchtig. Hatte Peyres Hildegard und auch andere aus der Truppe als jene Ketzer beschrieben? Die Vorstellung erschreckte sie nicht so sehr, wie es für eine Schülerin von Mutter Mechtildis angebracht gewesen wäre. Ihre Wahrnehmung der Welt hatte sich in den letzten Wochen verändert, ohne dass es ihr bewusst geworden war. Doch schien es in dieser Region mehr Eindruck zu machen, zu jenen frommen Häretikern zu gehören, denn Anhänger der heiligen römischen Kirche zu sein, denn sonst hätte Peyres wohl kaum gelogen.
Während sie in Ruhe darüber nachdenken wollte, fiel ihr ein Umstand auf, der alles Grübeln im Ansatz erstickte. Die junge, hochgewachsene Gemahlin des Burgherrn, die bisher mit halb geschlossenen Augen dagesessen hatte, schien schlagartig
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