Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
aufgewacht zu sein. Ihre Augen unterzogen Peyres einer eingehenden Musterung, und etwas an diesem Blick, der schätzend und abwägend schien, erinnerte Adelind an das gierige Gaffen der betrunkenen Männer. Sie sah, wie Peyres kurz den Weinbecher hob, als der Burgherr gerade mit ein paar Rittern plauderte. Er lächelte die Dame an, sie errötete leicht, nickte ihm dann aber zu. Eine kalte Hand legte sich um Adelinds Brust, um Schmerz zu verursachen, auch wenn sie sich tapfer dagegen zu wehren versuchte.
Waren all diese Gaukler, Männer wie Frauen, in ihrem Herzen Huren? Kannten sie keinerlei Ehre und Stolz?
Sie wusste die Antwort, hatte selbst bereits lange begriffen, dass all jene Vorstellungen, die sie einst als Maßstab sittlichen Handelns betrachtet hatte, für bettelarme, rechtlose Menschen nicht erreichbar waren. Dennoch atmete sie erleichtert auf, als der Burgherr sich Peyres zuwandte und eine Unterhaltung begann, die weiteres Kokettieren mit der Dame unmöglich machte. Auch Antonius und Simon lauschten nun angeregt. Adelind verstand, dass es um Krieg ging, auch »crosada«, der okzitanische Begriff für Kreuzzug, fiel mehrfach. Sie überlegte, ob Raimond de Bergers nach Outremer ziehen wollte. Seine Gemahlin würde ihn kaum vermissen.
Eine Weile später tuschelte Hildegard mit Antonius, um sich dann ihrer ebenfalls neugierigen Schwester zuzuwenden.
» Es heißt, der Papst erwägt einen Kreuzzug gegen diese Ketzer, also du weißt schon, diese Leute, bei denen wir in Monpeslier waren. « Sie flüsterte. Ihre Stimme klang verstört. » Aber der Adel hierzulande wird das nicht unterstützen, weil diese Leute doch nichts Übles tun. Außerdem hat fast jeder Burgherr hier im Languedoc inzwischen mindestens einen Blutsverwandten, der zu den Ketzern gehört. Raimond de Bergers meint, wenn sich hier ein Fremder einmischt, dann wird er mit Schwertern und Lanzen wieder verjagt werden, denn in diesem Land leben die Leute so, wie sie leben wollen. «
Sie beendete diese Rede mit einem nahezu entspannten Lächeln. Adelind drückte kurz ihre Hand.
» Es gefällt dir hier, nicht wahr? « , fragte sie. Hildegard senkte verlegen den Blick.
» Niemand stört sich daran, dass ich kein Fleisch essen will. Das macht mir das Leben wesentlich leichter. «
In diesem Moment erhob sich der Burgherr, um das Gelage für beendet zu erklären. Adelind empfand Erleichterung, obwohl der Abend nicht so übel verlaufen war, wie befürchtet.
Sie schliefen in keinem Schweinestall, sondern in einem jener Nebengebäude, die um den inneren Burghof angeordnet waren. Der Raum war klein, aber dank eines hastig hereingetragenen Kohlenbeckens einigermaßen warm. Leider rochen die Strohsäcke muffig, und außerdem lag der Gestank von Fäulnis in der Luft. Adelind bekam eine üble Ahnung von dem Zustand der hier in Kisten gelagerten Vorräte, doch aufgrund der Dunkelheit machte es keinen Sinn, genauer nachzusehen. Die junge, hübsche Burgherrin sollte sich besser um ihren Haushalt kümmern, als mit gut aussehenden Spielmännern zu kokettieren, dachte sie bissig, während sie eine mottenzerfressene Decke über sich zog. In Rogièr Malbruits bescheidenem Haus war es weitaus gemütlicher gewesen.
Die Erschöpfung half ihr, in einen leichten Schlummer zu fallen. Hinter geschlossenen Lidern sah sie den kugelrunden Bischof Nantelmus gemeinsam mit Mutter Mechtildis durch Monpesliers Straßen laufen. Der alte Herr musterte das Treiben kopfschüttelnd, während die Äbtissin laut zeterte. Plötzlich schwebte ein brennendes Kruzifix durch die Luft. Mutter Mechtildis griff sogleich danach, um es dem Bischof in die Hand zu drücken, und forderte ihn energisch auf, den Kirchenbann auszusprechen. Er gehorchte nach kurzem Zögern, doch bevor seine Rede beendet war, erschien Raimond de Bergers mit seinen inzwischen ernüchterten Rittern, deren blanke Schwerter im Schein des brennenden Kreuzes glänzten. Sie staunte, wie froh sie über das Erscheinen des Burgherrn war. Dann erklang das Geräusch huschender Schritte, während die Ritter und der Bischof allmählich hinter Nebelschwaden verschwanden. Adelind grübelte, ob es Gott oder der Teufel war, der sich hier einmischen wollte, als sie eine weibliche Stimme flüstern hörte und neugierig die Augen aufschlug.
Das Schnarchen von Antonius und Simons immer noch nicht ganz ausgeheilter Husten holten sie in die Wirklichkeit zurück. Aber da stand wirklich eine Frau in dem kleinen Raum, hielt einen schwach brennenden
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