Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Sie ließ ihren Blick nochmals über die Versammelten wandern. Sie vermochte in diesem Raum nichts Teuflisches oder auch nur Verderbtes zu erkennen. An dem züchtigen Gebaren der anwesenden Männer hätten viele Priester sich ein Beispiel nehmen können, befand sie, denn selbst Marcia wurde nicht beachtet. Die hübsche Gauklerin unternahm auch keinerlei Versuche, etwas daran zu ändern, sondern aß schweigend ihre Suppe, ebenso wie Simon und Antonius. Nur Peyres redete weiter mit dem Hausherrn.
» Ihr seid also aus Köln. «
Die Worte in einer vertrauten Sprache ließen Adelind erschrocken zusammenfahren. Sie sah das Gesicht jener Frau, die an der Eingangstür gestanden hatte, in ihre Richtung blicken. Schweiß befeuchtete ihre Achselhöhlen. Wieder einmal musste sie sich in Erinnerung rufen, dass Mutter Mechtildis nun sehr, sehr weit weg war.
» Ja, das ist richtig « , erwiderte sie so gefasst wie möglich. » Wir schlossen uns dort der Gauklertruppe an. «
Die Frau, mit der sie redete, saß an der Seite des Hausherrn. Sie musste mindestens vierzig sein, denn ein feines, aber tiefes Geflecht von Falten lag um ihre Augen und Mundwinkel. Die braunen Augen strahlten gütige Klugheit aus, was Adelind ein wenig beruhigte.
» Mein Name ist Margarete. Ich wurde in Nürnberg geboren « , erzählte die Gefährtin des Hausherrn. » Als junges Mädchen kam ich nach Monpeslier, und seitdem lebe ich hier. «
Sie nippte an ihrem Becher. Zu der Gemüsebrühe wurde ein tiefroter, sehr wohlschmeckender Wein dargeboten.
» Seid Ihr Eurem Gemahl in Nürnberg begegnet? « , fragte Adelind, um das Gespräch höflich fortzusetzen. Margarete ließ ein leises Lachen erklingen, das nicht zu der ernsthaften Stimmung im Raum passte.
» Ich zog die Keuschheit der Ehe vor « , erklärte sie. » Deshalb musste ich meine Heimat verlassen, denn dort wurden Leute wie ich nicht geduldet. «
» Warum seid Ihr in kein Kloster eingetreten, wenn Ihr keusch leben wolltet? « , mischte sich plötzlich Hildegard ins Gespräch. Adelind staunte, dass die Schwester den Widerspruch in ihren eigenen Worten nicht erkannte.
» Das hätte ich vermutlich getan, aber mir fehlte dazu das Geld, und ich war nicht von Adel « , sagte Margarete. » Mein Vater, ein Gerber, fand einen Mann, der mich ohne Mitgift nehmen wollte. Freunde halfen mir zu entkommen, und so gelangte ich nach Monpeslier. «
Sie lächelte zufrieden.
» Hier nahm Rogièr Malbruit mich auf. Ich führe seinen Haushalt, aber wir haben beide der Fleischeslust entsagt. «
Sie warf dem großen, bärtigen Mann an ihrer Seite einen warmen Blick zu. Er unterbrach kurz seine Unterhaltung mit Peyres, um Margarete ebenfalls anzusehen. Adelind staunte, wie viel Zuneigung in beider Augen lag. Sie war Ehepaaren mit mehreren Kindern begegnet, zwischen denen sie weniger Liebe verspürt hatte.
» Ich heiße Euch und Eure Schwester in Monpeslier willkommen « , erklärte Margarete und hob ihren Weinbecher. » Hier hat ein Mensch, der auf die Stimme Gottes hören will, mehr Freiheit als in Eurer Heimat. Nutzt diese Gelegenheit, ganz gleich, wie Ihr Euch entscheidet. «
Adelind nahm den Gruß dankbar an. Sie konnte keine Stimme in ihrem Inneren vernehmen, wusste nicht, welcher Weg der ihre sein würde. Ein Ort, an dem eine aufreizende, halb nackte Tänzerin ebenso geduldet wurde wie ein keusch lebendes Paar, das sich aufrichtig liebte, war so unerhört, dass ihr davon fast schwindelig wurde.
Sie war erzogen worden, derartige Regellosigkeit als gefährlich zu betrachten, als teuflische Versuchung für einen aufrechten Christenmenschen. Aber nun, da sie sich mittendrin befand, schien das Leben auf einmal betörend in seiner Vielfalt, als könne sie zum ersten Mal durch eine Mauer blicken, die sie bisher von weiten Teilen der Welt abgeschirmt hatte.
Nach dem Abendmahl wurde ihnen allen ein kleiner Raum mit Strohmatten zugewiesen, wo sie zufrieden einschlafen konnten. Vorher hatte Adelind erfahren, dass die meisten Leute in Rogièr Malbruits Haus einst als Flüchtlinge gekommen waren, die hier ein Auskommen gefunden hatten. Er war Witwer mit zwei bereits verheirateten Töchtern. Nach dem Tod seiner Gemahlin hatte er den Weg zu Gott gefunden, betrieb weiter seinen sehr erfolgreichen Gewürzhandel, nutzte die Einnahmen aber, um Menschen ein Zuhause zu geben.
Hätte Bischof Nantelmus diesen Mann wirklich einen Ketzer genannt, überlegte Adelind, während ihr langsam die Lider zufielen. Sie hatte sich lange
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