Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
fühlte
er sich jedoch trotzdem nicht. Zugegeben, das Mobiliar war spartanisch,
geradezu schäbig. Eine Bettstatt, zwei klapprige Stühle, ein Tisch. Eine
Waschschüssel und der Spiegel aus polierter Bronze. Sonst nichts. Außer dem
Ungeziefer, vor dem es hier nur so wimmelte. Aber auch das machte ihm wenig
aus. Er fühlte sich sicher hier. Gut aufgehoben.
Unbeobachtet.
Bevor er die Mappe aus Schweinsleder unter dem
Kopfkissen hervorholte, verriegelte Demetrius die Tür. Schließlich war dies
nicht sein Zuhause, die stattliche Residenz am Oberen Markt. Hurenhaus war nun
einmal Hurenhaus. Und Vorsicht die wichtigste Regel, die es bei seinem Vorhaben
zu beachten galt.
Demetrius nahm die Mappe zur Hand, legte sie auf den
Tisch und ließ sich auf den klapprigen Stuhl sinken. Es war nahezu finster, mit
Ausnahme des Sonnenstrahls, welcher durch die schmale Ritze zwischen den
Fensterläden auf die abgenutzten, mit Schaben, zerquetschten Läusen und
Rattenkot übersäten Dielenbretter fiel. Dennoch: Der qualmende Haufen Unschlitt
neben ihm würde genügen. Wenn etwas nämlich noch funktionierte, dann seine
Augen. Wenigstens auf sie, wenn schon nicht auf seinen durch und durch maroden
Körper, konnte er noch bauen.
Während eine Woge brennenden Schmerzes über ihm
zusammenschlug, unterdrückte der Erzdiakon ein Stöhnen, entknotete die Schnur,
die das Aktenbündel zusammenhielt, und begann zu lesen.
Die Lektüre der Unterlagen, welche er von Marmelstein
abgepresst hatte, brachte ihn indes nicht auf die erhoffte Spur. Daten,
Beträge, Zahlenkolonnen. Dazu stoßweise vergilbtes Papier. Und immer wieder
eine Abkürzung, hinter der vermutlich ein Name steckte: E.B. Demetrius wurde
neugierig, umso mehr, als er auf die Beträge stieß, die vonseiten dieses Anonymus
in von Marmelsteins – und seines bischöflichen Herrn – Schatulle geflossen
waren. Der Erzdiakon hielt den Atem an. 3000 Gulden! Und das in nur einem
halben Jahr. Doch wozu überhaupt das viele Geld? Wer war dieser E.B., und
weshalb stand er bei von Marmelstein derart tief in der Kreide? Demetrius
zermarterte sich das Gehirn. Doch wohl nur, weil er der Patron aller
Reliquienhändler war, so zum Beispiel von Agilulf, nach dessen Handlanger er
immer noch suchte!
Demetrius ballte die Rechte zur Faust. ›Das Kleeblatt‹
– dies eine Wort würde ihn bis an sein Lebensende verfolgen. Und wahrscheinlich
noch darüber hinaus.
Wo war der Dritte im Bunde, dieser Fant, der ihm durch
die Lappen gegangen war?
Der Erzdiakon biss die Zähne zusammen, während er die
Aufzeichnungen zum x-ten Male überflog. Irgendwo, wenn nicht hier, musste es
doch einen Hinweis geben!
Wo zum Teufel hatte sich der dritte Teil des
Kleeblattes verkrochen?
Und vor allem: Wo hatten Agilulf und dieser Ansgar
ihre Beute versteckt?
Wo nur, wo?
Es war zum Verrücktwerden, einfach wie verhext.
Schlimmer noch, die Zeit, sein größter Widersacher,
lief ihm unweigerlich davon. In der Nacht von Montag auf Dienstag, genau um
zwölf, würde er die Gefährten treffen. Bis dahin musste alles erledigt sein.
Wenn nicht, konnte er ihnen nicht mehr unter die Augen treten. Und vor allem
Colonna, seinem Mentor, nicht. Welch unvorstellbare Schmach, würden seine
Albträume Wirklichkeit werden!
Mit eiserner Entschlossenheit, und das trotz eines
Anfalls von Schüttelfrost, der ihn bis in sein verfaultes Mark erzittern ließ,
bäumte sich Demetrius gegen sein drohendes Schicksal auf. Die Züge, welche der
Bronzespiegel reflektierte, beachtete er dabei kaum. Er wusste, wie er aussah,
nämlich wie ein Schatten seiner selbst. Ein Dämon, dessen Menschlichkeit
abhanden gekommen war, hinter einer Maske, auf der die Spuren seiner tödlichen
Krankheit nicht mehr zu übersehen waren.
Und dennoch: Es gab eine Mission zu erfüllen. Um jeden
nur erdenklichen Preis.
Ein Klopfzeichen an der Tür, pünktlich wie immer, riss
den Erzdiakon aus seinen Gedanken, und seine Mundwinkel bewegten sich kaum
merklich nach oben.
Melisande. Ein Inbegriff an Zuverlässigkeit.
Insbesondere, wenn es darum ging, seine Wünsche zu erraten.
Demetrius entriegelte die Tür, taumelte hinüber zum
Bett und zog seine Stoffmaske über den Kopf. Dann entblößte er den Rücken,
bereit, die ihm von Gott auferlegte Buße zu empfangen.
Wahrhaftig, er hatte seine Strafe verdient.
*
Marmelsteiner
Hof, Ende der zehnten Stunde (17.20 Uhr)
Die Tapisserie, ein Meisterwerk flämischer Kunst,
musste sündhaft teuer gewesen sein, und
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