Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Klein beigeben war ein Wort, das in Berengars
Wortschatz fehlte.
Er war sauer, stinksauer sogar, und er fühlte sich wie
ein Vulkan vor der Eruption. Zurückhaltung war jetzt nicht gefragt. Eine Abfuhr
wie diese konnte man unmöglich auf sich sitzen lassen.
Und deshalb gab es für ihn auch kein Halten mehr.
Berengar nahm Anlauf und trat gegen die Tür, mit einer
Wucht, dass sie fast aus den Angeln sprang. Und das gleich mehrfach
hintereinander. Ein altes Kräuterweib, das im gleichen Moment vorbeihumpelte,
ließ seinen Korb fallen, bekreuzigte sich und wich mit schreckerfüllten Augen
zurück.
Dieser Recke im schwarzen Wams war ein Dämon,
schlimmer als alle Teufel der Hölle zusammen.
Das dachte sich wahrscheinlich auch Schwester Irene,
Priorin zu St. Afra, die das in die Pforte eingelassene Schiebefenster aufriss.
Ihr Gesicht sah wie ein zerknüllter Lumpen aus, die Augen farblos und starr,
der Blick in einem Maße boshaft, wie man es einer Ordensschwester nicht
zugetraut hätte. »Was bildet Ihr Euch eigentlich …« begann sie, nur um mitten
im Satz innezuhalten. Dieser Hüne mit der finsteren Miene, der offenkundig das
Waffenhandwerk betrieb, irritierte sie.
Ein Wunder war geschehen. Schwester Irene, genannt
›die Heimsuchung‹, hatte es die Sprache verschlagen.
»Wie schön, dass Ihr gewillt seid, mir Eure kostbare
Zeit zu widmen!«, nutzte Berengar diese Schwäche gnadenlos aus. »Es wird auch
bestimmt nicht lange dauern!«
»Euer Begehr?«
»Sagte ich das nicht bereits?«, ergriff Berengar die
Flucht nach vorn und schlug einen drohenden Unterton an.
»In der Tat!«, fiel die Priorin wieder in ihren
angestammten Tonfall zurück. »Aber nicht, in wessen Auftrag Ihr hierher
gekommen seid!«
»Ach, wirklich?«, antwortete Berengar treuherzig und
setzte eine Unschuldsmiene auf. Jetzt war guter Rat teuer. Ein Grund für sein
Hiersein musste her. Und zwar ein triftiger. Der Vogt geriet mächtig ins
Schwitzen. Darüber, so die verspätete Erkenntnis, hatte er sich nämlich noch
keinerlei Gedanken gemacht. Doch er hatte Glück. Und eine Idee, mithin die
beste in letzter Zeit.
»Ja, wirklich!«, setzte die Priorin unbarmherzig nach.
»Darum nochmals: In wessen Auftrag seid Ihr hier?«
Um seinen Worten die größtmögliche Wirkung zu
verleihen, ließ sich Berengar mit einer Antwort Zeit, entgegnete dann aber in
umso bestimmterem Ton: »Im Auftrag des Bischofs, wenn Ihr es unbedingt wissen
wollt!«
Die Finte tat ihre Wirkung, schneller und
nachhaltiger, als Berengar es sich vorgestellt hatte.
Von Natur aus spröde und herb, war die Priorin wie
verwandelt, von jetzt auf nachher geradezu unterwürfig geworden: »Das ist
natürlich etwas anderes!«, gurrte sie, ohne seine Behauptung auch nur im Entferntesten
in Zweifel zu ziehen. »Tretet ein!«
Berengar ließ sich das natürlich nicht zweimal sagen,
und nachdem die Priorin die Pforte geöffnet hatte, zupfte er sein Wams zurecht,
klopfte den Staub von den hirschledernen Beinlingen und trat ein. Kaum war dies
geschehen, fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
»Bevor wir unser Gespräch fortsetzen, sollten wir das
Corpus Delicti näher in Augenschein nehmen!«, war Schwester Irene im Begriff,
sich an Dienstbeflissenheit selbst zu überbieten. Berengar horchte auf. Er
hatte nicht die geringste Ahnung, wovon die Priorin sprach, weshalb er sich
unwillkürlich fragte, ob es hier nicht vielleicht zwei Schwestern mit dem Namen
Irmingardis gab. Eine Vermutung, welche die Priorin umgehend widerlegte. »Gott
sei mein Zeuge!«, deklamierte sie, während sie den Vogt durch den verlassenen
Kreuzgang lotste. »Nie und nimmer hätte ich daran gedacht, dass ein so junges,
noch dazu bildhübsches und gottesfürchtiges Geschöpf auf Abwege kommen könnte!«
Kein Zweifel: Wenn es eine Beschreibung gab, die auf
Schwester Irmingardis zutraf, dann diese. Wenngleich sich Berengar fragte, was
der Grund für die nebulöse Bemerkung der Priorin war. »Abwege? Wie darf ich das
verstehen?«, hakte er denn auch umgehend nach. Eine Unachtsamkeit, mit der er sich
um ein Haar bloßgestellt hätte.
Gerade dabei, die Tür zum Skriptorium aufzuschließen,
hielt die Priorin mitten in der Bewegung inne, drehte sich auf dem Absatz um
und schien buchstäblich zu Eis zu gefrieren. Ihr bis dahin merklich entspannter
Gesichtsausdruck verhärtete sich, und sie sah Berengar argwöhnisch an. »Ich
dachte, Ihr wüsstet über den obwaltenden Casus Bescheid!«, antwortete sie,
während ihre gelöste
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