Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
dazu Granatäpfel und reichlich Naschwerk für die
Kinder, war das Köstlichste, das Berengar in letzter Zeit gegessen hatte. Der
Vogt schnalzte genüsslich mit der Zunge. Gerade eben noch trist und voller
Tücken, hielt das Leben doch hin und wieder eine angenehme Überraschung bereit.
Im Grunde konnte man seiner Schwester nur gratulieren.
Nach dem Haus ihres Mannes würde sich selbst ein Herr von Stand die Finger
lecken, und die gute Stube, in der die Familie gerade zu Tische saß, war die
Krönung davon. Angefangen bei den Butzenscheiben, die sich kaum jemand leisten
konnte, bis hin zum Kachelofen in der Ecke legte jedes einzelne Möbelstück
Zeugnis vom Reichtum seines Besitzers ab. Der Eichentisch mit den sorgsam
gedrechselten Beinen hatte bestimmt ein Vermögen gekostet, und den Wandteppich
aus Flandern konnte sich außer Heribert wohl nur der Bischof leisten.
»Einen Schluck Wein?«, fragte sein Schwager, eine
silberne Karaffe in der Hand. Berengar wehrte ab. Der Rausch am Abend zuvor steckte
ihm noch zu sehr in den Knochen.
»Wie geht’s eigentlich deinem Freund Hilpert?«, wollte
Sieglinde am Ende der wahrhaft fürstlichen Mahlzeit wissen. »Wenn mich nicht
alles täuscht, habt ihr beiden schon allerhand erlebt!«
»Und ob!«, pflichtete ihr Berengar bei und nippte
vorsichtig an seinem Bier. »Wenn ich an den Fall mit den Teufelsanbetern denke,
frage ich mich allen Ernstes, wie wir das überstanden haben!«
»Wo steckt er eigentlich?«
»Im Kloster. Sieht nach dem Rechten. Zumindest so
lange, bis ein neuer Abt gewählt ist. Dann muss er wieder nach Maulbronn.«
»Und warum bleibt er nicht einfach hier?«
»Keine Ahnung. Einen Mann wie ihn könnte Bronnbach gut
gebrauchen.« Fast im gleichen Moment, als die Rede auf Hilpert kam, stellte
sich Berengar die Frage, was sein Freund wohl zu der Sache mit den
Kilianreliquien sagen würde. Der Vogt kam ins Grübeln, und kaum war der Tisch
abgedeckt, gehörte seine gute Laune der Vergangenheit an. Die Audienz beim
Bischof steckte ihm immer noch in den Knochen. Weit mehr, als ihm lieb war.
»Was hast du denn, Bruder?«, hörte Berengar seine
Schwester sagen, aber er war zu sehr in Gedanken, als dass er eine plausible
Antwort parat gehabt hätte. Die eigene Natur, nicht dazu geschaffen, Kränkungen
hinzunehmen, spielte ihm einmal mehr einen Streich. Und das ausgerechnet in
einem Moment, als Agilulf samt dem mysteriösen Fremden schon fast wieder
vergessen war.
Berengars muskulöser Körper straffte sich. Das Gefühl
der Behaglichkeit, das sich in ihm breitzumachen begann, verflog auf einen
Schlag, und bevor seine Schwester einen Einwand erheben konnte, hatte der Vogt
die Tür der Wohnstube erreicht.
»Wo willst du eigentlich hin?«, rief ihm Sieglinde
hinterher, aber in diesem Moment war Berengar bereits auf dem Weg nach unten,
und sie hörte seine halblaut gemurmelte Antwort nicht mehr.
*
Stift Neumünster
am Kürschnerhof,
Beginn der
neunten Stunde (14.40 Uhr)
Die Sonne hatte den Zenit überschritten, als Berengar
den Weg zum Neumünster einschlug. Mit Ausnahme einiger Federwolken war der Himmel
strahlend blau, und der vielen Pilger wegen platzte die Stadt fast aus allen
Nähten.
Je näher er dem Neumünster kam, desto dichter wurde
das Gedränge. Sehr zur Freude der Bettelmönche, Ablassprediger und
Devotionalienverkäufer, die das Geschäft ihres Lebens machten. Berengar, dessen
Heimatdorf am Fuße seiner Stammburg aus ein paar Lehmhütten bestand, war der
Rummel entschieden zu groß. Da er sein Vorhaben aber nicht auf die lange Bank
schieben konnte, tauchte er widerwillig in das dichte Gewühl ein.
Nur einen Steinwurf von der Marienkapelle entfernt,
deren Baugerüste rechts von ihm in die Höhe ragten, kam die Menge zum Stehen.
Das Neumünster, Aufbewahrungsort des Kilianschreins, war nur noch 100 Schritte
entfernt. Trotzdem gab es kein Durchkommen mehr. Halb Würzburg und eine
unübersehbare Menge von Pilgern aus nah und fern drängten sich vor dem Portal.
Berengar staunte nicht schlecht. Einige von ihnen waren bestimmt Tage, wenn
nicht sogar Wochen unterwegs gewesen. Dies allein war an sich schon bemerkenswert.
Noch auffälliger jedoch, dass es von Blinden, Lahmen und Krüppeln nur so
wimmelte. Wenn schon kein Bader, Quacksalber oder Wunderheiler half, dann
vielleicht der heilige Kilian. Dementsprechend hoch ging es auf dem
Kürschnerhof her, und als Berengar zu der Menge stieß, hatte die Stimmung ihren
Siedepunkt erreicht.
Mit dem
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