Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Besitz der Eskorte, die den verhassten Domherrn
schützte.
Und so kam es, dass Berengar die Arme emporreckte und
mit weithin hörbarer Stimme rief: »Haltet ein, Leute! Wenn wir Zank und Hader
vom Zaume brechen, ist niemandem geholfen – und schon gar nicht dem Ansehen des
heiligen Kilian, dem zu Ehren wir hier alle versammelt sind!« Der Vogt konnte
es fast nicht glauben, dass er es war, der hier sprach, aber das Echo seiner
Stimme überzeugte ihn vom Gegenteil. Aber noch war die Gefahr nicht vorüber.
Bei einem Großteil der einfachen Leute waren die Pfaffen ihrer Privilegien
wegen aufs Äußerste verhasst. Das war nicht zu übersehen, vor allem nicht zu
überhören.
Die Sache stand auf des Messers Schneide.
Dank einer Nonne in der Tracht der Benediktinerinnen
blieb das von Berengar befürchtete Blutbad jedoch aus: »Der Mann hat recht!«,
pflichtete sie dem Vogt entschieden bei. »Der Ort, an dem ihr steht, ist
heilig! Tragt eure Raufereien und Händel ein andermal aus! Und wenn, dann bitte
nicht hier! Oder wollt ihr zur Strafe für euren Frevel in der Hölle schmoren?«
Angesichts der Stimmung, in der sich die Menge befand,
konnte man den Mut der blutjungen Ordensfrau mit dem Madonnengesicht nur
bewundern. Berengar machte da keine Ausnahme. »Meine Hochachtung!«, raunte er
ihr zu, als sich die Menge langsam zu zerstreuen und der Tross des Domherrn
seinen Weg fortzusetzen begann. »Ihr habt wahrhaftig ganze Arbeit geleistet!«
Die Nonne sah Berengar lächelnd an, und obwohl er sich
hinterher dafür schämte, bekam der Vogt sofort weiche Knie.
»Wenn hier jemand ganze Arbeit geleistet hat, dann
doch wohl Ihr!«, entgegnete sie, während sie sich mit Berengar in die Schlange
einreihte, die sich vor dem Portal des Neumünsters bildete. »Wie heißt Ihr
eigentlich, mein Sohn?«
Es war nicht die Frage, sondern die ihm zugedachte
Anrede, welche Berengars Verlegenheit noch steigerte. »Berengar von Gamburg,
Vogt des Grafen von Wertheim!«, stammelte er und kam sich dabei reichlich
albern vor. »Wohnhaft im Hause meines Schwagers Heribert Scheuermann in der
Dominikanergasse!«
»Schwester Irmingardis, wohnhaft im Kloster St. Afra
zu Würzburg!«, antwortete die Nonne mit schelmischem Blick. »Was bringt Euch
hierher, wenn die Frage gestattet ist?«
Bevor Berengar sie beantworten konnte, fiel ihm eine
der Bettlerinnen ins Wort, welche die Stufen vor dem Kirchenportal umlagerten.
»Eine milde Gabe, edler Herr – für mich und meine darbenden Kinder!«
Aus seinen Gedanken gerissen, griff der Vogt denn auch
instinktiv nach der Geldkatze. Er war so perplex, dass er fast ins Straucheln
geriet. Doch mit dem, was als Nächstes geschah, hatte er bestimmt nicht
gerechnet: »Tut’s nicht!«, gab ihm Schwester Irmingardis mit einem sanften
Rippenstoß zu verstehen und flüsterte ihm ins Ohr: »Die hier hat es bestimmt
nicht nötig. Soweit ich weiß, geht es den Mitgliedern der Bettelzunft alles
andere als schlecht! Wenn schon mildtätige Werke, dann ist Euer Geld im
Leprosenhaus besser angelegt!«
»Ihr kümmert Euch um Aussätzige?«
»Gewiss!«, ließ Schwester Irmingardis mit Nachdruck
verlauten. »Und das schon seit mehr als drei Jahren. Egal, um welche Art Hilfe
es sich handelt – meine Patienten haben sie bitter nötig! Nötiger jedenfalls
als sämtliche Bettler der Stadt zusammen. Daher mein Rat: Lasst Euer Geld
einstweilen dort, wo es ist!«
Berengar war so überrascht, dass es ihm fast die
Sprache verschlug, und er sah Schwester Irmingardis verdutzt an. Aber das geht
doch nicht!, schien sein entgeisterter Blick zu sagen, doch bevor er seine
Gedanken aussprechen konnte, warf ihm die Ordensfrau ein entwaffnendes Lächeln
zu, hakte sich bei ihm unter und zog ihn mit sich fort. »Pfaffenpack,
elendes!«, keifte ihnen die wolfszähnige alte Bettlerin hinterher, doch bevor
es zu einem Eklat kommen konnte, waren der Vogt und Schwester Irmingardis im
Inneren der Basilika verschwunden.
»Und so etwas von einer Ordensschwester – ich muss
schon sagen!«, flüsterte Berengar, als er seine Verblüffung halbwegs überwunden
hatte. »Sieht so aus, als könnte ich allerhand von Euch lernen!«
Schwester Irmingardis zeigte
keinerlei Reaktion, außer der Andeutung eines Lächelns, das ihre dunklen Augen
inmitten der ebenmäßigen Züge noch anziehender machte. Sie war ganz und gar auf
den Hochaltar konzentriert, genau wie die übrigen Pilger, die den Blick auf
drei silberne Büsten richteten. Der Sockel, das eigentlich
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