Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
einer der beiden
Stadtknechte auf. »An sich recht harmlos. Armer Teufel. So was wie ein
Kinderschreck. Streunt meistens droben auf dem Galgenberg herum. Kümmert sich
um die Gehenkten. Das heißt um das, was von denen übrig geblieben ist. Keine
Ahnung, was in den Bankert ge…«
»Was sagst du da?!«, herrschte Bruder Hilpert den
verdatterten Stadtknecht an. Berengar und Bruder Wilfried zuckten zusammen und
wechselten einen überraschten Blick.
»Verzeiht, Bruder, aber ich verstehe nicht ganz, was
Ihr …«
»Was du da eben gesagt hast, will ich wissen!«,
unterbrach ihn Bruder Hilpert barsch. »Über diesen … wie heißt er doch gleich?«
»Wigbert!«, vollendete der Stadtknecht mit neu
erwachter Energie. »Na ja – wie gesagt, er ist halt ein komischer Kauz, so was
wie ein …«
»… Kinderschreck, ich weiß. Und was noch?«
»Was er sonst noch so treibt?«, antwortete der hagere
Rotschopf und hantierte nervös an seiner Hellebarde herum. »Aber das habe ich
doch schon gesagt! Er ist so was wie ein Totengräber.«
»Will heißen?«
»Wenn einer aufgehängt oder gerädert oder gevierteilt
oder sonst was wird – wenn das arme Schwein endlich tot ist, will ich damit
sagen –, tritt der Wigbert in Aktion.«
»Und verscharrt ihn irgendwo in der Nähe des Galgens,
getreu dem Grundsatz, dass sein Grab anonym bleiben soll. Richtig?«
Der Stadtknecht nickte.
»Und sein Lohn?«
»Die irdische Habe dieser armen Teufel. Sofern es sie
überhaupt gibt.«
»Und wenn nicht?«
»Dann kriegt er nur ihre Kleider. Das heißt, wenn sie
dann überhaupt noch zu gebrauchen …«
»Moment mal!«, fuhr Berengar dazwischen und ging
langsam auf Hilpert zu. »Worauf willst du eigentlich hinaus? Doch nicht etwa
darauf, dass diese missgestaltete Kreatur Gräber geplündert, sich drei Schädel
herausgepickt und sie anschließend an diesen Agilulf verschachert …«
Ein Blick, eine hochgezogene Braue und die Andeutung
eines Lächelns – und Berengar stand einfach nur da, den Mund sperrangelweit
offen. Aber anders als zuvor regte sich dieses Mal kein Unmut in ihm. Im
Gegenteil. Er war einfach viel zu perplex dafür. So sehr, dass es ihm die
Sprache verschlug.
»Irgendwelche Einwände?«
Berengar verneinte. »Langsam wirst du mir
unheimlich!«, brummelte er, mit einem Blick, der zwischen Verblüffung und
Bewunderung schwankte. »Auf so was kommst wirklich nur du!«
Bruder Hilpert, der wie ausgewechselt schien, lächelte
zufrieden, und die Müdigkeit, die seine Lider niedergedrückt hatte, war wie
weggeblasen. Auf einmal war er wieder ganz der Alte – scharfsinnig, tatkräftig
und optimistischer denn je. »Bliebe nur noch zu klären, in welcher Beziehung
Agilulf zu diesem Wigbert stand!«, sprühte er förmlich vor Energie.
»Vorausgesetzt, sie existiert – woran ich ehrlich gesagt kaum noch Zweifel hege
–, wären wir einen gewaltigen Schritt weiter.«
»Und du glaubst wirklich, dass es Menschen gibt, die
einen derart teuflischen Plan aushecken können?«, meldete sich Bruder Wilfried
zu Wort.
»Jemand wie Agilulf schon!«, warf Berengar ohne zu
zögern ein.
»Aber warum?«
»Gier, Bruder. Hemmungslose, nackte Gier. Und jede Menge
Schulden. Ganz offensichtlich waren 100 Gulden immer noch nicht genug.« Bruder
Hilpert zuckte die Achseln und winkte die Freunde zu sich heran: »Wie dem auch
sei!«, schloss er, das weitere Vorgehen im Sinn. »Damit wir dieses
Kapuzenmannes habhaft werden können, müssen wir handeln. Und zwar rasch. Darum
schlage ich Folgendes vor: Du, Berengar, knöpfst dir noch einmal diesen
Leinenweber vor. Wäre doch gelacht, wenn nicht noch mehr aus ihm
herauszubekommen ist! Für dich, Bruder Wilfried, gilt das Gleiche: Tu mir den
Gefallen und fühle der versammelten Nachbarschaft noch einmal kräftig auf den
Zahn! Müsste mich wundern, wenn sie sich weiter so beharrlich ausschweigen
würde wie bisher. Jeder Hinweis, jede beiläufige Bemerkung könnte von großem
Nutzen für uns sein.«
»Und du?«
»Ich, Berengar? Nun, ich denke, es ist höchste Zeit,
mich ins Neumünster zu begeben und mir den Tatort näher anzuschauen. Zuvor
jedoch werde ich diesem Wigbert einen kleinen Besuch abstatten.«
»Auf dem Galgenberg?«
»Genau.«
»Falls er nicht schon längst das Weite gesucht hat.«
»Stimmt. Kann man nie wissen.«
»Wann sehen wir uns wieder? Und wo?«
»Beim Mittagsleuten!«, antwortete Bruder Hilpert im
Gehen. Und fügte mit einem schelmischen Blick über die Schulter
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