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Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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zurück. Nicht
schrittweise, wie es der Schock, unter dem sie immer noch stand, hätte vermuten
lassen. Sondern abrupt. So plötzlich, dass sich der kalte Schweiß unter ihren
Achseln staute und ihr Herz wie eine Schmiede zu hämmern begann.
    Die Hand auf ihrer Schulter, die sie sanft, aber
bestimmt zur Seite schob, fühlte sich wie die Klaue eines Raubtiers an. Krallen
wie ein Habicht!, fuhr es Schwester Irmingardis durch den Sinn, während sie wie
betäubt durch die Dunkelheit taumelte und an der gegenüberliegenden Wand zum
Stehen kam.
    Die Tür war immer noch einen Spalt weit offen, und so
konnte Schwester Irmingardis die Umrisse des Mannes, der sich über Schwester
Serafina beugte, gerade noch erkennen. Er war hochgewachsen und schlank und mit
einem dunklen Umhang bekleidet, der seine Gestalt fast komplett ihren Blicken
entzog. Mehr konnte sie nicht erkennen, aber das war auch nicht nötig. Denn was
sie im Folgenden zu hören bekam, ging ihr derartig unter die Haut, dass sie die
Szene ihr Lebtag nicht mehr vergaß.
    Für kurze Zeit war das Schattenwesen am Ende des
Lichtkegels aus dem Kreuzgang wie erstarrt. Im Glauben, sie sei einer
Sinnestäuschung erlegen, machte Schwester Irmingardis einen winzigen Schritt
auf das Sterbelager zu, prallte dann aber im Angesicht des Mannes, dessen
einschüchternder Blick über die Schulter ihren Atem gefrieren ließ, voller
Entsetzen zurück.
    Rote, fieberglänzende Augen. Keine Brauen. Keinerlei
Farbe im Gesicht. Die Haut so weiß wie ein Leichentuch und die Lippen nichts
weiter als ein farbloser Strich. Beim Anblick des Mannes mit der dunklen Kapuze
und dem stechenden Blick setzte bei Schwester Irmingardis einen Moment lang der
Herzschlag aus.
    Sie kannte diesen Mann, die Frage war nur, woher.
    Was folgte, war wie ein Albtraum für sie. Schwester
Irmingardis bekreuzigte sich und wich Zoll um Zoll zurück. Der Mann neben dem
Sterbelager warf den Kopf in die Höhe, wie ein Wolf bei Vollmond, und sein
Aufheulen ging Schwester Irmingardis durch Mark und Bein. »Mutter!«, schrie der
Schattenmann seine Verzweiflung förmlich aus sich heraus. »Mutter!«
     
    *
     
    Galgenberg, Ende
der vierten Stunde (9.20 Uhr)
     
    Ob das Geschoss, das ihn an der rechten Schulter traf
und mit voller Wucht gegen das Blutgerüst schleuderte, ein Stein oder ein
Wurfholz oder sonst irgendein Gegenstand war, wusste Bruder Hilpert hinterher
nicht mehr. Eines jedoch wurde ihm blitzartig klar: Dies hier war kein Zufall,
sondern bitterer Ernst.
    Fest entschlossen, sich so gut es ging seiner Haut zu
wehren, klammerte er sich am nächstbesten Holzpfosten fest. Seine Schulter tat
höllisch weh, ebenso sehr wie der Schädel, den er vor lauter Schmerzen fast
schon nicht mehr spürte. Die Knie weich wie geschmolzenes Wachs, hatte er Mühe,
sich auf den Beinen zu halten, vom Schwindel, der ihn wie einen Betrunkenen hin
und her taumeln ließ, gar nicht zu reden.
    Immer noch ein wenig benommen und den Geschmack von
Blut im Mund, fuhr Bruder Hilpert herum. Wild wucherndes Unterholz,
Brombeerhecken und Gestrüpp. Dahinter der Galgenwald. Und über allem diese
trügerische Stille, die Ruhe vor dem Sturm.
    Von der Sonne geblendet, überschattete Hilpert die
Augen und sah sich um. Es war genau der Moment, als der nächste Stein
heranflog. Und der nächste. Und noch einer. Kaum hatte er sich geduckt, ging
ein wahrer Geschosshagel über Bruder Hilpert nieder, und wäre der Galgen nicht
gewesen, unter dem er in Deckung ging, wäre er wohl gesteinigt worden.
    Aber dann, ohne dass er hätte sagen können, warum, war
alles vorüber. Eine riesige Staubwolke hüllte den Galgen ein, und überall auf
der Lichtung lagen Steine, armdicke Äste und Holzkeile herum. Wie nach einer
erbitterten Schlacht.
    Stille. Laut hustend wischte sich Bruder Hilpert den
Staub aus dem Gesicht und arbeitete sich langsam voran. Zu seiner Überraschung
blieb ein weiterer Geschosshagel jedoch aus. Stille. Sogar Vogelgezwitscher.
Und keine Menschenseele zu sehen. Bruder Hilpert kroch unter dem Galgen hervor,
warf einen Blick in die Runde und rappelte sich auf.
    Und dann, wie aus dem Nichts, stand dieser
missgestaltete kleine Mann vor ihm. Höchstens vier Fuß groß und so wunderlich,
dass er ihn auf Anhieb wiedererkannte.
    Wigbert der Zwerg, Totengräber und Schreckgespenst in
einer Person, verschränkte die Arme vor der Brust, bleckte die schwefelgelben
Zähne und sah Bruder Hilpert herausfordernd an. Und das ohne jede Spur von
Furcht. Über den

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