Die Kinder aus Nr. 67
Noch am gleichen Tage wurde aus der Straßenhorde eine Fußballmannschaft gebildet mit Stürmer, Mittelspieler, Torwart und allem, was dazu gehört.
Am Nachmittag dieses heißen Tages war die Straße besonders leer. Sie konnten gleich ein bißchen probieren, auf dem Asphaltweg Fußball zu spielen. Paul ließ sogar Straßenhandel Straßenhandel sein und machte mit. Er brachte ohnehin heute fünfzig Pfennige nach Hause.
Sie verteilten sich und begannen zu spielen. Der Ball wurde von einem zum andern geworfen. Alle sahen ihm voll Freude nach. Da bog ein Auto um die Ecke. Im gleichen Augenblick schoß einer den Ball so heftig, daß er auf den Fahrdamm rollte. Das Auto konnte zwar im letzten Augenblick ausweichen, um den Jungen nicht zu überfahren, der dem Ball nachstürzte. Aber zur gleichen Zeit kam auch der wachhabende Schutzmann um die Straßenecke. Der hatte alles mit angesehen. Er setzte sich in Trab, packte zwei Jungen hinten am Kragen und schrie:
»Ich werde euch aufschreiben. Seid ihr verrückt geworden? Spielt hier mitten im Verkehr Fußball! Wollt wohl zu Mus gefahren werden? Die Straße ist doch kein Spielplatz. Geht in den Hof, wo ihr zu Hause seid!«
Der Mann hatte natürlich ganz recht. Es war traurig, daß ihr Spiel so schnell unterbrochen wurde, aber man konnte auf den Hof gehen und es dort versuchen.
Sie nahmen sich vor, recht leise zu sein, damit die im Vorderhaus sich nicht gleich wieder aufregten und Frau Manasse spektakelte. Eigentlich war's auch im Hof viel schöner und geschlossener. Sie fingen leise zu spielen an. Gaben ruhig und besonnen die Anweisungen. Aber natürlich verlangt das Spiel Aufmunterung und Schnelligkeit.
Der Ball flog und alle sprangen. Eine Lust war das, den Ball vorwärtszustoßen und aufs Tor zu dirigieren. Erwin war so vergnügt, weil er nun endlich einen richtigen, eigenen Ball vor den Füßen hatte und zustoßen durfte. Oben öffneten sich die Fenster im Hinterhaus. Die Mütter schauten zu. Die Sache machte ihnen selbst Vergnügen. Aber da flog der Ball ans Fenster der Portiersfrau. Es krachte und klirrte.
Alle verstummten vor Schreck. Sie sahen erwartungsvoll zum Fenster. Aus der Tür stürzte bereits der Portier. Der Ball hatte ihn aus dem Schlaf getrommelt. Er war noch in Hemdsärmeln. Die Hosenträger hingen an seinem Rücken hinunter. Er hatte sich keine Zeit genommen, sie zu befestigen.
»Ihr seid wohl verrückt geworden! Der Hof ist doch kein Sportplatz. Welcher Satan hat euch Rotznasen denn den Ball zugesteckt? Seht ihr denn nicht, daß ihr die Scheiben einschlagt. Fahrt doch nach Treptow auf die Spielwiesen. Natürlich, natürlich, ich habe ja gleich gesagt« — seine Stimme überschlug sich richtig — »meine Scheibe. Verhauen soll man euch.«
Er packte Erwin und zog ihn am Ärmel.
»Kneifen Sie mir doch nicht. Lassen Sie mir los«, schrie Erwin. »Sie haben mir gar nicht so am Ärmel zu ziehen. Ich sag's meine Mutta. Au, au, aua.«
Der Portier schlug ihn rechts und links. Dann ging er zu Paulchen über, der dumm dabei stand und den Ball schützen wollte, der zwischen die Beine des wütenden Portiers gerollt war. Aus dem Hinterhaus kam Erwins Mutter gelaufen. Sie redete auf den Portier ein und schimpfte. »Sie haben unsere Kinder nicht zu schlagen. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Sachen.«
»Das ist gut, um meine Sachen!« schrie der Portier nun wieder. »Bin ich hier Verwalter oder sind Sie das? Hier hab' ich zu bestimmen. Und ich laß' mir nicht von Ihre Kinder meine Scheiben zertrümmern. Das müssen Sie bezahlen. Wenn Sie's bezahlen wollen, dann gut.«
Der Mann hielt noch immer Paul fest und zog ihn hin und her. Erwin versuchte inzwischen, den Ball zwischen den Füßen des Verwalters fortzuziehen. Vielleicht rutschte er dabei aus, vielleicht stieß er auch vor Zorn gegen dessen Füße. Denn der Ball rollte so unglücklich weiter, daß der Verwalter seine Beine verwechselte und ins Stolpern kam. Er rutschte aus und glitt zu Boden.
Die Jungen benutzten diese Gelegenheit, um zu türmen. Erwin erwischte noch glücklich den Fußball und rannte hinterher.
Auf der Straße hielt die Mannschaft einen langen Kriegsrat. Sie waren betreten. Das war also gar nicht so einfach mit dem Fußball.
»Das ist gut; auf der Straße können wir nicht spielen, im Hof dürfen wir nicht spielen. Wo sollen wir denn spielen?«
»Ich hab's ja gleich gesagt«, erklärte der lange Heiner, »dazu braucht
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