Die Kinder aus Nr. 67
wickelte das Geld in Zeitungspapier und steckte alles, so gut es ging, in seine Taschen. Später legte er es in den Schulranzen. Und den stellte er nachts dicht neben sein Bett, um immer, wenn er aufwachte, nach ihm hinschielen zu können.
Er hatte so viel Angst, das Geld könnte plötzlich verschwinden.
Er dachte auch gleich an Paulchen. Paulchen war leider noch immer im Asyl für Obdachlose, weil sein Vater keine Arbeit gefunden hatte. Nach der Schule wollte er mit dem Geld zu Paulchen gehen. Der würde staunen.
Zum Asyl war es ein weiter Weg. Er mußte in einen anderen Stadtteil und wurde sehr müde. Er war noch nie dort gewesen. Wenn er Paul sehen wollte, trafen sie sich immer irgendwo. Viel Zeit hatte Paul nicht. Er mußte jeden Tag mit seiner Mutter in die Stadt handeln gehen.
Vor der Tür des Asyls waren lauter Inschriften, Vorschriften und Verbote. Als er klingelte, wurde nur ein Schiebefenster geöffnet. Das Pförtnergesicht guckte heraus.
»Ach, bitte schön, ich möchte zur Familie Richter.«
»Drittes Haus, linke Tür, vierter Hof, zweiter Eingang, rechts.«
Schwupp ging das Fenster wieder zu. Das Gesicht verschwand. Erwin versuchte es in einer anderen Ecke. Hier ging es ihm genau so. Das Gesicht verschwand. Überall das gleiche. Jedesmal schloß sich das Fenster wieder.
Endlich gelangte er durch eine Tür in einen breiten Flur. Es roch nach Karbol. Die Wände waren kahl und grau. Er lief den Inschriften nach und kam auf einen Hof. Rechts und links auf dem Hof waren Holzbaracken. Auch hier roch es ungewohnt und seltsam. Vor den Baracken saßen kleine, schmutzige Kinder und spielten in dem großen Schmutz Kuchenbacken und Sandhaufenbauen. Erwin ging zu ihnen und fragte nach Paulchen. Sie liefen mißtrauisch zusammen und berieten untereinander, wer das sei. Sie kannten ihn nicht und schickten Erwin weiter. Er lief durch die ganze Barackenstadt. Ihm wurde beklommen und ängstlich. Alles hier war fremd und bedrückend. Endlich kam ein kleines Mädchen. Das kannte Paul Richter. Es nahm Erwin mit und führte ihn durch einen Flur in einen großen Wohnraum. Hier hörte er laute Stimmen. An der einen Seite des Raumes stand ein langer Tisch. Männer saßen daran. Das waren alles Arbeitslose. Sie lasen Zeitung oder spielten Karten. In der anderen Ecke machten die Kinder Schularbeiten. In der dritten Ecke waren Frauen an einem großen Kochherd beschäftigt. Über dem Ofen hingen nasse Kleidungsstücke zum Trocknen und verbreiteten feuchte, dunstige Luft. In der vierten Ecke war ein Vorhang, und Erwin sah dahinter Betten stehen. Die Betten waren übereinander aufgebaut, um Platz zu sparen. Er kam an den Verschlag der Familie Richter. Paul war nicht da. Aber seine Mutter schlug die Hände zusammen und kam gleich auf ihn zu. Sie weinte fast vor Freude und drückte Erwin an sich. Das war ihm gar nicht so recht. Er kam gar nicht dazu, nach Paulchen zu fragen. So viel wollte die Mutter von ihm wissen.
»Ach du lieber Gott, ja, ja, das waren noch schöne Zeiten, als wir in Nummer siebenundsechzig wohnten. Nee, gar nicht daran denken darf man. Willst du vielleicht einen Kaffee haben? Wo du doch den weiten Weg gemacht hast?«
Sie schüttete ihm eine dünne Brühe aus einem Topf in eine Blechtasse und schob sie ihm hin.
»Auch ein bißchen Zucker?«
Sie holte aus dem Tischschubfach Zucker. Ein Stück. Das brach sie noch durch und legte die andere Hälfte wieder hin.
»Milch haben wir keine«, entschuldigte sie sich.
»Wo ist denn Paulchen?« fragte Erwin, während er den Kaffee hinunterschlürfte.
»Is auf der Straße auf Handel. Muß ja aber wohl bald wiederkommen. Wir haben ja sonst kaum einen Verdienst, und er hat sich gut eingerichtet. Er bringt immer mal paar Pfennige mit, und dann gibt's was Warmes in den Magen.«
Erwin wurde nachdenklich. Er seufzte. Ob es nicht besser wäre, das Geld hier zu lassen. Pauls Mutter war so mager geworden. Sicher ging es ihnen sehr schlecht. Sie hatte auch weiße Haare bekommen. Auf jeden Fall wollte er mit Paulchen sprechen.
Paulchen freute sich, als er unerwartet Erwin sah. Nicht, daß er viel gesagt hätte. Er zuckte vor Staunen zusammen und zögerte einen Augenblick, als er mit seiner Schachtel voll Streichhölzer und Schnürsenkel ankam.
»Mensch«, sagte er dann, »Mensch, Erwin, guten Tag auch.« Und er schob sich ganz dicht und aufgeregt an ihn heran. »Is wohl nu soweit, wat? Mensch, sag doch
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