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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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Willi spuckte verächtlich seinen Kaugummi in einem großen Bogen von sich. »Is doch trotz allem nur ein Mädchen. So wat kommt doch nich in die Clique!«
     
    »Aber bedenke doch, eine echte Indianerin!«
     
    »Und wenn schon. Mädchen bleibt Mädchen, och bei de Indianers.«
     
    Emil nickte Willi zu. »Das meine ich auch. Es genügt schließlich, wenn sie mit meinen Schwestern spielt. Dann lernen die vielleicht die Indianersprache.«
     
    Heiner stand auf. »Ich seh' das eigentlich nich ein. Wenn's wirklich 'ne stammesechte Indianerin is, könnte unsere Clique in der ganzen Gegend an Ansehen gewinnen. Erwin hat recht. Ich bin auch für Aufnahme.«
     
    »Kommt gar nich in Frage.« Willi hieb mit der Hand durch die Luft und zeigte sein entschlossenstes Gesicht. »Da hab' ich auch zu entscheiden. Ein Mädchen, und obendrein eine Fremdrassige, kommt nicht zu uns in die Clique. Item, ich, der Häuptling, habe gesprochen.«
     
    Ach so! Die andern sahen sich bedeutungsvoll an und blinzelten einander zu. Willi hatte es neuerdings mit den »Rassen«.
     
    »Die Germanen stammen aber von den Indianern ab, denn die gab's nämlich schon vorher«, sagte Paul schüchtern und schielte vorsichtig nach Willi. »Hab' doch mal so was gelesen.«
     
    »He! Das hat nun gerade noch gefehlt«, schrie Heiner. Die übrigen lachten schallend.
     
    Willi tippte nur an seine Stirne und rief verächtlich: »Dich hat's wohl! Mal gelesen!«
     
    Sie hätten alle sehr gern gesehen, das fremde Mädchen wäre gleich in den Hof gekommen, um den Streit zu schlichten und sich ihnen vorzustellen. Sie setzten sich auf jeden Fall dem Fenster von Frau Manasse gegenüber und blieben dort sitzen. Unablässig schielten sie nach oben. Auch Erwin.
     
    Aber Mirjam zeigte sich nicht. Nur Frau Manasse öffnete einmal das Küchenfenster. Dann sahen sie sie eine Viertelstunde am Herd hantieren.
     
    »Jetzt kocht sie Milch für Mirjam«, erklärte Erwin. Dabei fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, den Milchauftrag weiterzugeben. Er sprang hoch.
     
    »Einen Augenblick mal. Ich muß ja für Mirjam was besorgen.«
     
    Es freute ihn, daß er für Mirjam etwas besorgen mußte. Er fühlte, daß ihm alle nachsahen.
     
    Als er zurückkam, waren die Jungen leider weggegangen. Es war ihnen wahrscheinlich zu langweilig geworden, noch länger auf Mirjam zu warten. Erwin suchte nicht nach ihnen. Er lief rasch die zwei Treppen nach oben, um seinen Eltern und Geschwistern die Neuigkeit zu erzählen. Und wir wollen indessen sehen, wer Mirjam war, denn diese Geschichte handelt von ihr.
     
    Mirjam
     
    Mirjam war das kleine Mädchen vom Anfang unserer Geschichte.
     
    Sie war keine Indianerin. Nein, sie war eine Deutsche, wie alle die anderen Kinder. Der Brief ihres Vormundes war nach Berlin zu Frau Manasse gegangen, und als sie ihn gelesen hatte, rief sie: »Gott der Gerechte, Gott der Gerechte, großer Gott!«
     
    Sie hatte sich vor Aufregung die Stirn mit ihrem Taschentuch abgetupft, war unruhig im Zimmer auf und ab gegangen, hatte immer wieder den Kopf geschüttelt, geseufzt, aufs neue das Taschentuch benutzt und schließlich aus einem Schrank ein altes Photoalbum hervorgesucht. Zwischen Maskenbildern und Familienandenken steckte auch ein Bild ihrer Schwester mit dem Kind Mirjam. Auf dem Bilde war Mirjam zwei Jahre alt.
     
    Und dann hatte Frau Manasse den Kopf geschüttelt, an ihren Fingern abgezählt und sich immer wieder gewundert. »Die geht ja schon zur Schule!« hatte sie entsetzt ausgerufen.
     
    Noch am gleichen Abend war sie nach Oberschlesien gefahren, um ihre Nichte Mirjam abzuholen.
     
    Zuerst fürchtete sich Mirjam vor dieser breiten, üppigen Frau. Da sie ihr erlaubte, ihren Hund Piddel mit nach Berlin zu nehmen, war sie mitgegangen. Geredet hatte sie nicht viel. Auch nicht gelacht. Erst als sie Erwins Gesicht sah, das sie so erschrocken anstarrte und so schrecklich viele Sommersprossen besaß, daß es wie mit Gold bespritzt aussah, mußte sie lachen. Als die Tante dann etwas vom »Hof« sagte und »mit euch spielen«, horchte sie erfreut auf. Wenn es hier Kinder gab, konnte noch alles gut werden.
     
    Sie lag in ihrem eisernen Bettgestell, das Tante Manasse extra für sie besorgt hatte, und konnte nicht einschlafen.
     
    »Piddel«, sagte sie zu dem struppigen, kleinen Hund, der zu ihren Füßen zusammengerollt schlief, »Piddel, es wird viele Kinder hier geben, und wir können mit ihnen spielen. Freust du dich?«
     
    Piddel wedelte mit seinem

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