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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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Zettel »Für«, »Gegen«. Es gab zwei dafür, alle anderen waren dagegen.
     
    Willi verließ stolz die Höhle. Er strafte Heiner und Erwin nur mit einem verächtlichen Blick.
     
    Mirjam spielte im Hof mit Lucie und Marta. Als die Jungen den Hof betraten, lief sie ihnen vergnügt entgegen. Sie ging auf Erwin zu und fragte: »Haste es schon gesagt?«
     
    Erwin nickte. »Ja, kommt aber gar nicht in Frage«, brummte er. »Wir werden dich niemals in der Clique aufnehmen.«
     
    »Warum denn nicht?«
     
    Erwin drehte sich um und zuckte ärgerlich mit den Schultern.
     
    Die anderen gingen gleich weiter und beachteten sie überhaupt nicht. Auch Erwin war sehr hastig weitergelaufen. Gleich darauf verschwand er im Aufgang d.
     
    Emil trat zu seinen Schwestern, flüsterte ihnen etwas zu und bat sie, ihm zu folgen.
     
    Nur Willi blieb noch einen Augenblick stehen und zischte: »Zigeunerin, Polnsche!«
     
    Mirjam wollte zornig auf ihn zutreten, da schob er seinen Fuß zwischen ihre Füße. Sie stolperte, und als sie auf der Nase lag, lachte er und lief weg.
     
    Als Mirjam sich umsah, stand sie ganz allein im Hof. Zuerst blieb sie erschrocken stehen, dann schob sie die Unterlippe vor, seufzte auf und machte nachdenklich: »Aha.« Es war nicht das erstemal, daß sie auf Ablehnung stieß.
     
    Aus dem Tagebuch der Mirjam Sabrowsky
     
    30. Juni 1931. Die Jungen wollen nicht mit mir spielen. Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich hatte mich so gefreut. Ich habe Erwin gefragt, ob ich nicht wenigstens einmal zu Besuch kommen könnte, um die geheimnisvolle Höhle zu sehen, von der alle sprechen. Aber er hat gesagt: »Das geht nicht.« Und dann ist er weggelaufen. Die Lucie sagt, das kommt davon, weil ich nur ein Mädchen bin. Aber ich glaube, es liegt an dem Willi und der neuen Partei. Sie halten sich alle für etwas Besseres. Sie sagen »Jude« zu mir, und das ist ein Schimpfwort für sie. Dabei gab es doch die Juden schon zu Christi Zeiten, und damals waren die Germanen noch wilde Tiere, die in Höhlen lebten; so hat meine Tante Mathilde gesagt.
     
    1. Juli 1931. Bei Tante Mathilde ist es sehr langweilig. Sie denkt immer nur an ihre Masken und hat keine Zeit für mich. Es ist so: die anderen mögen mich nicht, weil ich von auswärts gekommen bin. Ich spreche anders. Sie sagen, sie verstehen mich nicht. Ich verstehe sie auch nicht. Ich muß immer »was« und »wie« fragen. Sie sagen »mir« statt »mich«. Sie machen furchtbar viele Fehler. Meine Mutter ist, glaube ich, eine Jüdin gewesen. Mein Vater aber war das andere, ich vergesse immer, wie man dem sagt. Und er war ein Katholik, also ein sehr guter Christ. Ich bin doch auch getauft, genau so wie er.
     
    3. ]uli. Wenn ich am Küchenfenster sitze und in den Hof sehe, kann ich Zusehen, was die Jungen treiben. Die haben's lustig zusammen. Tante Mathilde sagt: »Spiele mit Marta und Lucie.« Das kann ich gar nicht. Die müssen zu Hause helfen und haben nie Zeit. Lotte trägt Zeitungen. Da möchte ich mal mitgehen, aber sie will nicht.
     
    Mittwoch. Habe Paul heute gefragt, warum ich nicht in die Clique darf. Er sagt, es sei ein großes Geheimnis. Er dürfe es nicht verraten. Die Lucie hat's mir aber gesagt. Der Willi steckt dahinter, der ihr Anführer ist. Sie denken, ich sei eine »Polnsche« oder stamme von den Zigeunern ab. Hab' ich mir gleich gedacht. Dabei ist doch gar kein Krieg mehr. Und mein Papa hat für Deutschland gestimmt, damit Oberschlesien nicht polnisch wird, weil er dafür gekämpft hat, und weil Deutschland so ein großes, schönes Land sei, wär's gut, ein Deutscher zu sein. Aber vielleicht ist Oberschlesien doch eigentlich nicht deutsch, oder nicht ganz, weil die Kinder jetzt »Polnsche« zu mir sagen. Ich will mal den Lehrer fragen.
     
    1o. Juli. Willi und Heiner haben mir schon wieder die Zunge herausgestreckt, und ich habe gut gehört, wie Willi sagte: »Die doofe Gummipuppe.« Das ist auch so ein Schimpfwort von ihnen. Was es heißt, weiß ich nicht. Wenn nicht Lotte Brackmann dabei gewesen wäre, hätte ich geheult. Sie sagt, ich soll mir nichts draus machen.
     
    Sonnabend. Habe heute den Lehrer gefragt, ob Oberschlesien bestimmt in Deutschland sei. Er hat gesagt ja, und daran sei mein Vater mit schuld. Das hat der Lehrer gesagt, und alle haben es gehört; und sie haben kein Recht, mich als Fremde anzubrüllen.
     
    30. Juli. Bin wütend! Da steckt bestimmt Willi dahinter. Will aber der Reihe nach aufzählen. Also: Ich geh' für Tante Semmeln

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