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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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Willi wurde es seit einigen Monaten immer schwieriger. Er war einer neugegründeten Jugendgruppe beigetreten, in der sie von einer kommenden Revolution sprachen. Aber Erwins Vater hatte gesagt, daß es eine falsche und sehr gefährliche Revolution sei, und Erwin dürfe niemals diesen Jugendgruppen beitreten. Als Erwin jetzt auf Frau Manasse zu sprechen kam, rief Willi natürlich gleich dazwischen.
     
    Schon sprang er entschlossen auf und meldete sich zu Wort.
     
    »Niemals«, so begann er, niemals würde er das zugeben.
     
    »Niemals!« schrie er zum drittenmal, »solange noch ein einziger Atemzug, ein Tropfen Blut in mir ist.«
     
    Paulchen beugte sich zu Erwin. »Hör dir doch det geschwollene Gerede an, wie aus 'nem Lesebuch.«
     
    »Wir sind Jungen und haben mit Mädchen nichts Gemeinsames, und noch dazu mit so hergelaufenen, ›fremdrassigen‹.«
     
    »Ja, wen meinst du denn eigentlich?« fragte Erwin.
     
    »Na, eure Mirjam Schnabelbuwsky oder wie sie heißt.«
     
    »Sachte.« Emil fiel ihm warnend ins Wort. »Der Vater war doch mit im Krieg. Der war zweimal verwundet und hatte das Eiserne Kreuz. Die is eine Deutsche, genau so wie ihr und wir.«
     
    »Mensch, der kennt ja schon den ganzen Stammbaum.«
     
    »Na, wat denn, sie hat det ja meinen Schwestern erzählt. Die haben sie nämlich in der Schule ausgefragt. So braun ist sie nur, weil ihre Mutter auch eine braune Haut hatte. Du bist ja auch schwarz.«
     
    Aber Willi war nicht zum Schweigen zu bringen. Er eiferte gegen die Mädchen, gegen fremde »Volksgenossen«, besonders gegen Juden, Zigeuner, Polen und Leute aus dem Osten. Ordentlich groß und gewichtig wurde der schwarze Willi. Er war der älteste von ihnen, und nun stand er, die Hände in die Taschen gestemmt, beinahe drohend da. »Alle derartigen Leute, ob Mädchen oder Jungen, haben nichts mit uns gemeinsam. Wir sind was besseres als sie und später werden wir mal ihre Herren werden, dazu sind wir da. Was aber die Mädchen angeht, die heulen und jammern bei jedem Dreck. Die können nicht kämpfen. Die sollen mit Puppen spielen, sollen daheim Staub wischen und Strümpfe flicken und bei Muttern bleiben. In der Stube sollen sie sitzen und det Essen kochen und was noch so Zeug is, damit sie später — na, eben mal später, all det können«, beschloß er seine Rede.
     
    Vielleicht hatte Willi recht? Ihre Clique war immer nur eine Bubensache.
     
    Sie hatten ihm alle schweigend zugehört und jetzt überlegten sie. Emil dachte an seine vier Schwestern, an die Zwillinge und die zwei anderen, die noch auf der Erde herumkrabbelten. Alles brachten sie durcheinander. Wenn er sie beiseiteschob, heulten sie. Darum nickte Emil.
     
    Sogar Erwin seufzte. »Mit meinen Schwestern gibt es auch immer Streit.« Er hatte sich gerade heute wieder mit der Lotte gestritten, weil sie durchaus ein Buch haben wollte, das er brauchte. Sein Vater hatte ihn sogar ihretwegen an den Ohren gezerrt und ihn ermahnt: »Schämst du dich nicht, derart mit Mädchen umzugehen. Das kannst du mit deinen Buben machen.«
     
    Also das fehlte noch. Dann mußte man womöglich auch in der Clique Rücksicht nehmen und durfte nicht mit den Mädchen schimpfen oder balgen.
     
    Willi fühlte, daß seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen. »Also, Mädchen hin oder Mädchen her. Sie kommen keinesfalls in die Clique und vor allem niemals so fremdrassige wie die Mirjam. Sie hat euch ja bereits eingewickelt und den Paul belogen, daß sich die Balken biegen.«
     
    Paul senkte zustimmend den Kopf. Seine schmachvolle Niederlage fiel ihm ein. Weiß Gott, der Willi hatte recht.
     
    »Det mit dem Fahrrad und den Masken, det is überhaupt alles nur Bestechung, um sich in unsere Clique einzuschleichen. Und wenn sie dann bei uns ist, geht sie hin und wird uns verraten.«
     
    »Verraten? An wen denn?« fragte Erwin.
     
    Willi sah Erwin an und dachte nach. Dann sagte er: »An unsere Feinde.«
     
    Die anderen blickten sich bedeutungsvoll an. Der Willi hatte seit einiger Zeit eine sonderbare Art zu reden. Manchmal sprach er sogar nur in geheimnisvollen Andeutungen, und keiner wußte genau, was er damit meinte, und wer ihre »Feinde« waren.
     
    »Also zur Abstimmung«, befahl Willi.
     
    Heiner ahnte, daß er unterliegen würde. Eigentlich war das recht schade. Er hatte es sich hübsch gedacht, Mädchen in der Clique zu haben. Er hatte es seiner Schwester Wally beinahe schon versprochen.
     
    Die Abstimmung war geheim. Jeder kritzelte auf einen

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