Die Kinder aus Nr. 67
denn? Man wird doch wohl noch einen Spaß machen können. Wir haben doch bloß gespielt.«
»Hör mal, ich weiß nicht, ob det noch Spiel war. Blödsinn war es«, knurrte Erwin. »Schließlich ist diese Mirjam nichts anderes als wir, und fremd ist sie auch bei uns.«
»Eben darum hat sie hier nichts zu suchen«, gab Willi zurück. Aber er merkte schon, daß er verloren hatte. Sie schlichen leise und wortlos die Treppen hinauf und blieben verschüchtert in ihren Wohnungen. Sie machten freiwillig Schularbeiten, halfen den Müttern beim Kartoffelschälen, machten sich irgendwo nützlich und lauschten dabei auf jeden Schritt, der über den Hof kam. Wenn es vor der Vorsaaltür klingelte, fuhren sie erschrocken zusammen und dachten: Jetzt! Jetzt kommt es. Jetzt werden wir geschnappt.
Als der Briefträger Lange vom Dienst kam, hielt ihn Willi für einen Polizisten und flüchtete in den Kohlenkeller. Erst als er seinen Irrtum erkannte, kam er zurück.
Paul bot sich freiwillig an, die Backstube zu scheuern, nur um nicht immerzu an das Unheil denken zu müssen, das sie angerichtet hatten.
Emils Mutter fragte erstaunt: »Warum hockst du eigentlich immer in der Küche herum und klebst wie ein Baby an meinem Schürzenbändel? Warum gehst du denn nicht im Hof spielen?«
»Ist zu schlechtes Wetter«, behauptete Emil.
Seine Mutter glaubte einen Augenblick, er sei krank geworden. Es war strahlender Sonnenschein. Aber dann ließ sie ihn in Ruhe.
Heiner überlegte sich eine Verteidigungsrede, um die Bande herauszureden. Der kleine Lange und die beiden Teetzmanns waren so mutig, ins Vorderhaus zu schleichen und hinter der Manasseschen Tür zu lauschen. Sie kamen dann eilig und berichteten, sie hätten entsetzlich viel aufgeregte Stimmen hinter der Tür gehört, auch eine unbekannte Männerstimme, die keinem im Haus gehöre. Und dann sei ein fremder Mann im Auto weggefahren. Das machte alle noch ängstlicher.
Aber es geschah nichts. Am nächsten Tag, als Marta und Lucie aus der Schule kamen, erzählten sie, Mirjam sei nicht in der Schule gewesen. Sie war auch nicht entschuldigt worden. Das schaffte neue Beunruhigung. Sie konnten sich das überhaupt nicht erklären. Als sie nach drei Tagen immer noch nicht kam, fragte Marta entschlossen den Lehrer nach Mirjam. Er wußte auch nichts Ausführliches zu berichten. »Sie ist jetzt entschuldigt«, erklärte er nur.
Nun wurde die Stimmung der Clique immer übler. Auch Piddel ließ sich nicht blicken. Sie fürchteten schon das Schlimmste und flüsterten sich gegenseitig die aufregendsten Dinge zu. »Am Ende sind Mirjam und Piddel vor Schreck gestorben.«
Endlich hielt Erwin die Ungewißheit nicht länger aus. Er zog sich seine Sonntagskleider an, striegelte sein Haar mit Wasser glatt, rieb sich das Gesicht blank und war fest entschlossen, selber zu Frau Manasse zu gehen. Irgendwie mußten sie doch Mirjam um Verzeihung bitten und die böse Sache wieder in Ordnung bringen. Auf jeden Fall mußten sie erfahren, was nun eigentlich los war, und weil kein anderer aus der Bande den Mut aufbrachte, sich dem Strafgericht der Frau Manasse auszuliefern, wollte er es auf sich nehmen.
Nicht ohne Herzklopfen klingelte er im Vorderhaus an der Wohnungstür der Frau Manasse, und es dauerte nicht lange, so hörte er den schlurfenden Schritt der Maskenmanasse.
Als sie gesehen hatte, wer draußen stand, löste sie umständlich die Sicherheitskette und öffnete die Tür.
»Gleich wird sie schimpfen«, dachte Erwin und wappnete sich, um das Donnerwetter zu ertragen. Aber statt dessen streckte ihm Frau Manasse beide Hände entgegen und zog ihn zu sich in den Vorflur.
»Das ist aber nett, mein Junge«, rief sie, »wirklich sehr, sehr nett, daß nun endlich einer von euch das arme Kind besucht. Bisher hat sich ja keiner um sie gekümmert und keiner nach ihr gefragt. Komm nur näher, sie liegt im hintersten Zimmer.«
Erwin verstand nicht gleich. »Liegt?« Warum lag sie denn? Also hatten sie ihr wirklich etwas getan?
Frau Manasse schloß hinter ihm die Tür. »Komm nur, ich gehe voran. Dann findest du's besser«, sagte sie und watschelte durch die Zimmer mit den vielen Masken zu einer schmalen Tür. »Mirjam«, rief sie, »Mirjam, mein Liebling, der eine Junge von hinten — wie heißt er doch gleich? — will dich besuchen.«
Erwin sah ein Bett, über dem ein seltsamer Holzgalgen aufgebaut war. Dazwischen hing etwas Weißes,
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