Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
Vom Netzwerk:
er ließ sich nicht einmal herbei, unterwegs ein Wort als Erklärung zu geben. Sie bedrängten ihn immer wieder. »Los, Mensch, so sag doch ein Wort. Wo steckt sie denn? Hat die Alte sehr geschimpft?«
     
    Er wartete, bis alle in der Höhle versammelt waren. Sie sahen ihn erwartungsvoll an. Auch Willi war mitgekommen.
     
    »Also, was ist denn los? So red doch endlich.«
     
    »Mirjam liegt im Bett«, begann er. »Sie hat das Bein gebrochen. Sie liegt in einem dicken Verband, einem ganz dicken, eingeschient und festgeschraubt. Sie hätte auch sterben können«, setzte er hinzu. Ein wenig übertreiben schadete gar nichts. Sie sollten nur spüren, was sie da angerichtet hatten. »Piddel ist am linken Ohr verletzt und Mirjams neues Kleid ist hin.« Er ließ sich Zeit weiterzuerzählen.
     
    »Na und«, drängelte Heiner. »Und? Weiter?«
     
    »Aber sie hat nichts verraten, kein Wort. Sie hat nicht geklatscht. Ihre Tante hat keine Ahnung. Mirjam hat alles auf sich genommen, auch das mit dem Hund. Sie hat gesagt, sie selber hätte ihn so zugerichtet.«
     
    »Junge, Junge, alle Achtung. Det hätt ich aber nich erwartet. Is aber wirklich anständig.« So riefen sie durcheinander. Sie gerieten immer mehr in Erregung.
     
    »Jawohl«, schrie Erwin. »Verstecken können wir uns alle vor so 'nem Mädchen. Blödsinnig haben wir uns benommen, wie Schurken, sag' ich. Was heißt denn überhaupt ›Zigeuner‹ und ›Pole‹ und ›Jude‹. Ist denn das kein Mensch wie wir? Was kann er denn dafür, wenn er anders ist als wir oder anders aussieht? Warum müßt ihr immer wie wild gegen einen losbrüllen, der schwarze Haare oder braune Haut hat? Was hat det mit einem Menschen zu tun! Da leben sie nun neben uns im gleichen Haus, gehen mit uns zur Schule, sitzen auf derselben Bank und keiner von ihnen hat uns was getan.«
     
    »Der Erwin hat recht«, rief Paul. »Die Mirjam hat noch dazu weder Vater noch Mutter und ist ganz fremd hier. Is schließlich nur ein armes kleines Mädchen. Warum soll sie nicht mit uns spielen dürfen?«
     
    Willi sah Paul an und erhob drohend die Hand. »Schnattre du jetzt den gleichen Unsinn, dann kannst du etwas erleben und fliegst hochkantig raus.«
     
    »Laß ihn nur ruhig sagen, was er denkt«, redete Erwin weiter und zog Paul näher zu sich. »Laß dich nur nicht von Willi einwickeln. Es kann jeder sagen, was er denkt, und mit der Mirjam hat der Paul ganz recht. Aber jetzt geht's gar nich nur um die Mirjam. Ihr schreit ja bei allen andern auch so dumm daher, und ihr glaubt, die mit den blonden Haaren seien mehr wert. Dabei hat der Willi selber schwarze Haare.«
     
    Alle lachten laut.
     
    Erwin wurde immer kühner. »Und ich seh' auch nicht ein, warum Mädchen weniger sind als wir.«
     
    »Sehr richtig«, schrie Paul und streckte Willi hinter Erwins Rücken die Zunge heraus.
     
    Willi sah aus, als würde er sich im nächsten Augenblick auf Erwin und Paul stürzen, um sie beide zu verhauen. »Zum Erwin halten, zu dem!« schrie Willi. »Das werde ich dir heimzahlen. Das soll dir schlecht bekommen.«
     
    »Ruhe.« Heiner hielt ihn zurück. »Laßt den Erwin aussprechen.«
     
    »Ich hab' gesagt, wat ich sagen mußte. Ich hoffe, ihr versteht mich. Auf jeden Fall ist es hundsgemein, schwache, hilflose Menschen anzugreifen und zu hetzen. Wie Schurken haben wir uns betragen.« Er stützte seinen Kopf in die Hände und sah grämlich und verärgert vor sich hin.
     
    »Der Erwin hat recht«, kamen ihm einige zu Hilfe. »Es geht nicht darum, ob einer so oder so aussieht, ob er von da oder von dorther kommt, ob er Junge oder Mädchen ist, sondern ob er anständig handelt. Wie er is, det is dat Wichtigste.«
     
    »Jawohl, sein Charakter ist wichtig«, bekräftigte Heiner, »ob einer gut oder böse is.«
     
    Erwin nickte ihm dankbar zu. »Ja, det wollte ich sagen. Bei der Mirjam habt ihr nun gesehen, was für ein feiner Kerl sie ist, und selbst wenn sie sogar eine wirkliche Indianerin wäre, det zählt allens nicht, wenn sie gut is und recht tut.«
     
    »Nich verklatscht hat sie uns! Toll, einfach toll.«
     
    »Aber det konnten wir doch vorher nich wissen«, rief Willi dazwischen. Er hatte mit seinen Stiefelabsätzen immer mehr Löcher in den Boden gegraben, um seine Unlust und sein Mißfallen auszudrücken.
     
    »Daran siehst du doch, dat es keine Art is, nur loszuhetzen, um einen Jux zu haben und sich wichtig zu machen.«
     
    »Sehr richtig«, bekräftigte Paul. Sein Freund Erwin war doch ein feiner

Weitere Kostenlose Bücher