Die Kinder aus Nr. 67
Kerl, und Paul war wieder bereit, ihm durch dick und dünn zu folgen, und nicht mehr mit Willi in die neue Jugendgruppe zu gehen, obwohl er schrecklich gern marschierte und exerzierte und Willi ihm das lange Messer besorgt hatte, mit dem er später mal in den Krieg ziehen wollte, um ordentlich was zu erleben und Heldentaten zu vollbringen.
Willi trommelte ungeduldig mit der Hand gegen die Bretter. Er wollte gern auch etwas sagen, aber es fiel ihm nichts ein. »Biste noch nicht bald fertig?« fragte er schließlich. »Du predigst wie einer von der Heilsarmee.«
»Wenn es dir nicht paßt, kannst du gehen«, rief Erwin. »Ich will sagen können, was ich denke.«
»Wäre ohnehin an der Zeit, daß wir einen neuen Häuptling kriegen«, rief Heiner.
»Aber klar, bin ich auch sehr dafür«, schrie Paulchen.
Die anderen schwiegen.
Willi sah sich um. Hielt denn keiner mehr zu ihm? Er stand auf.
»Na denn, guten Abend«, sagte er, »und viel Vergnügen.« Er kroch beleidigt hinaus.
An diesem Tag wurde Erwin Häuptling der Clique. Er wurde einstimmig gewählt. Sie gingen einzeln auf ihn zu, gaben ihm einen Handschlag und sagten: »Parole Sternenhimmel. Es lebe Sternenhimmel, unser Häuptling.«
Erwin freute sich sehr.
Eine ganze Schar Jungen kam am nächsten Mittag in das Schokoladengeschäft gegenüber Nummer 67 und wollte eine Tafel Schokolade kaufen. Sie durfte nicht über vierzig Pfennig kosten und mußte sehr gut und schön sein. Es wurden ihnen die verschiedensten Tafeln vorgelegt und angepriesen. Die Besitzerin empfahl auch Cakes, Konfekt und Bonbons. »Bonbons für vierzig Pfennig sind doch viel ausgiebiger. Wie wäre es mit Sahnebonbons?« Nein, sie wollten Schokolade. Als sie die Tafel erhalten hatten, ließen sie sie gut verpacken und mit einem hellblauen Band umbinden. Dann suchten sie einen Fleischerladen auf. »Für zehn Pfennig Knoblauchwurst.« Auch das erhielten sie.
Nun ging es gemeinsam die Treppe im Vorderhaus hinauf bis zu der Tür: Maskenverleihgeschäft Mathilde Manasse.
Sie tuschelten und beratschlagten, wer läuten sollte. Aber Frau Manasse hatte den Lärm schon lange gehört. Sie blickte durch das Guckloch und öffnete.
»Gott der Gerechte, so viele auf einmal. Bitte erst die Füße abputzen.«
Erwin ging mit sicherem Schritt voraus. Die anderen staunten, wie gut Sternenhimmel hier Bescheid wußte. Er öffnete die Tür und führte sie ins Zimmer. »Wie geht's denn der Mirjam?«
»Wie soll's ihr denn gehen? Sie liegt still und wartet, daß sie wieder aufstehen kann. Aber nun kommt herein. Eins, zwei, drei, vier, fünf, ach, du mein Schreck, sechs aufs Mal, und drinnen sitzen schon drei Mädchen aus dem Hinterhaus. Was bedeutet das denn heute?«
Erwin hatte die letzte Tür geöffnet. »Tag, Mirjam.«
Marta, Lucie und seine große Schwester Lotte saßen um Mirjams Bett und nähten aus alten Maskenflicken, die Frau Manasse gestiftet hatte, Puppenkleider.
Mirjam staunte und wurde ein wenig verlegen. »Aber — aber, das ist ja die halbe Clique.«
»Für Piddel!«
Erwin legte die Wurst aufs Bett. »Und das ist für dich, von uns, von der Clique.«
Frau Manasse sah die vielen Kinder an. Was so alles aus meiner Wohnung geworden ist, dachte sie. Die reinste Kinderbewahranstalt. Und ausgerechnet die Kinder vom Hinterhaus, die ich nie leiden konnte. Aber eigentlich waren es doch nette, saubere Kinder. Und ihre Mirjam strahlte vor Freude. Sie hatte noch so wenig gelacht, und jetzt lachte sie laut und sah entzückend dabei aus.
Frau Manasse ging und bereitete Sirup und beschloß, beim Bäcker Hennig frische Pfannkuchen zu holen. Es ist doch heute wie ein Fest. »Was meinst du, Mirjam?«
Mirjam nickte. Sie freute sich unbändig. Wenn sie nicht angebunden gewesen wäre, wäre sie vor Freude aus dem Bett gesprungen. Sie gab jedem die Hand.
Frau Manasse brachte wirklich einen ganzen Teller voll Pfannkuchen. Sie hatte nicht gespart. Jeder durfte zwei Pfannkuchen essen und soviel Limonade trinken, wie er wollte.
Sie berichteten Mirjam, daß Erwin Häuptling geworden war. »Und unsere Parole ist jetzt ›Sternenhimmel‹. Prost Sternenhimmel«, riefen alle durcheinander. Sie stießen mit Mirjam an. Sie waren sehr vergnügt und überlegten, was sie noch alles unternehmen wollten, sobald Mirjam wieder gesund war.
»Denn«, erklärte Erwin, »unter meiner Parole spielen wir mit Mädchen gemeinsam.
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