Die Kinder der Elefantenhüter
unter Aufbietung aller Phantasie vorstellen könnte, dass er sich an Mejse und Beamtem Bent vorbeigedrückt hat, so ist es schlicht undenkbar, dass er dies bei Lars und Katinka geschafft haben soll. Soeben werden Gitte und ihre weißen Damen mit vier Polizisten, die den Sarg mit Vibe aus Ribe tragen, eingelassen, und Lars und Katinka gehen ihre Papiere durch – es ist offensichtlich, dass hier nichts dem Zufall überlassen wird.
Die Frage ist nur, wie wir selber durchkommen. Denn man kann sich durchaus vorstellen, dass Lars und Katinka der Meinung sind, dass in den vergangenen vierundzwanzig Stunden Dinge zwischen uns vorgefallen sind, die einer Erklärung bedürfen.
Tilte und ich wechseln einen Blick, damit versichern wir uns gegenseitig stillschweigend, dass wir ein Geständnis ablegen und offen vortreten und nichts verschweigen wollen. Ich fahre mir mit den Fingern durch die Haare, befeuchte die Lippen und mache mich bereit, um mit wohlgesetzten Worten lindernd Öl zu gießen in die sturmbewegte See.
Da nun Tilte und ich die Augen auf den Sarg richten, wie um Vibe den letzten Gruß zu entbieten, sehen wir es beide. Wir sehen, dass der Sargdeckel leise zittert.
Die Sargträger haben es auch bemerkt, ganz offenbar, tun aber klugerweise so, als wäre nichts, man kann sie gut verstehen, weichen wir nicht alle zurück vor dem Unerklärlichen?
Tilte und ich, wir sehen uns an.
Die Lage ist kurzzeitig unübersichtlich. Natürlich versucht jeder, der wie wir in der spirituellen Praxis erfahren ist, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen, dafür spaziere ich an der Schlossmauer entlang und setze mich auf eine friedliche Bank.
Auf der Bank sitzt eine Frau in einer Art Zaubererkostüm, den spitzen Hut über die Augen gezogen. Ein Problem aller Religionen ist, dass die Frauen immer so schwach gestellt sind. Wenn man also eine Frau in hoher Position sieht, wird man ausgesprochen frohgemut und möchte gern seinen Respekt bezeigen, den ich trotz meines erschütterten Zustands durch einen tiefen Diener zum Ausdruck bringe.
Dadurch fällt mein Blick unter den Zauberhut und auf das Gesicht. Ich kenne es. Die Frau heißt Vibe und kommt aus Ribe.
Ich greife nach Vibes Hand, sie ist kalt wie ein Eiswürfel. Tilte steht neben mir, sie erfasst die Situation mit einem Blick.
»Henrik!«, sagt sie. »Er hat ihr eine von Rickardts Trachten angezogen. Und ihren Platz im Sarg eingenommen.«
Entscheidend ist nun, dass wir Lars’ und Katinkas Herzen gewinnen.
In diesem Augenblick fährt die Taxe von vorhin an der Treppe vor, heraus springen Anaflabia, Vera, Thorlacius, seine Frau, Alexander Finkeblod und Bodil Nilpferd.
Wir erfahren nie, wie sie es geschafft haben, durchgelassen zu werden. Vielleicht ist die Erklärung die, dass gewisse Menschen einfach so viel Charisma und so viel, man nennt es wohl Seelenadel besitzen, dass sie keine Papierebrauchen, sondern sich von selbst ausweisen und sich – wie jetzt hier im Schlosshof – mit dem selbstverständlichen Recht bewegen, dort zu sein, wo sie sind.
Falls das die Erklärung sein sollte, muss man freilich hinzufügen, dass Lars und Katinka das nicht so ganz verstanden haben. Zu ihrer Entschuldigung muss gesagt werden, dass Alexander Finkeblod ja kurz zuvor im See gebadet hat. Wie er wieder aufgetaucht ist, steht dahin, jedenfalls blieb offenbar keine Zeit für eine Dusche, die seinem guten und vertrauenerweckenden Aussehen vielleicht zu seinem Recht verholfen hätte.
Es gibt nur wenige dänische Seen, die das ganze Jahr über kristallklar sind. Wahrscheinlich gilt das sowieso nur für die Seen auf Finø. Der durchschnittliche dänische See hat seine guten und seine schlechten Perioden, und in den schlechten gleicht er einem natürlichen Gärfutterbehälter oder Gülletank, und in einer solchen Periode befindet sich momentan der Schlosssee von Filthøj. So dass Alexander Finkeblod so aussieht, dass sich sogar seine eigene Mutter erschreckt hätte, und als Lars und Katinka ihn und Thorlacius und Anaflabia bemerken, sind sie sofort aus den Startlöchern, als hätte man eben den Schuss zum entscheidenden Finallauf abgegeben.
Das bedeutet, vor Tilte und Basker und Hans und Aschanti und Jakob Bordurio und Pallas Athene und mir ist der Weg ins Herz der Großen Synode vollständig frei.
Der Raum, den wir betreten und den wir auf Mutters und Vaters Bilddatei gesehen haben und der uns in den letzten zwölf Stunden oder wie vielen auch immer nicht aus dem Kopf gegangen ist,
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