Die Kinder der Elefantenhüter
ein Kind hat, das sie auf ihrem Schoß betütert und dessen Rosenwange sie geküsst hat, überrascht es mich nicht, dass dieses Kind der Schwarze Henrik ist. Wo sie nun nebeneinanderstehen, bemerkt man etwas Gemeinsames in ihrem gestählten Charakter. Auch eine körperliche Übereinstimmung ist zu erkennen, etwas mit der Festigkeit des Kiefers, so als wäre er aus Eisenplatten und auf der Schiffswerft Finø gewalzt worden.
Aber es ist nicht die Mutterliebe, die Anaflabia in diesem Augenblick in den Vordergrund stellt.
»Henrik«, sagt sie. »Stimmt es, was ich da höre? Dass du eine hässliche Bombe gebaut hast?«
Die Veränderung, die mit Henrik vor sich geht, ist so tiefgreifend, dass man denkt, gegen die Gefühle selbst eines erwachsenen Mannes für seine Mutter hat der innere Kreuzritter keine Chance. Sein Körper beginnt zu zappeln, es ist klar, was er will, er will das Weite suchen, um zu überleben.
Aber er sitzt fest in Hans’ Griff. Und Anaflabia kommt näher.
»Mutter«, sagt Henrik, »du hast selber gesagt, dass die andern Religionen der Teufel erfunden hat.«
Seine Stimme ist weinerlich.
»Henrik«, sagt Anaflabia, »du entschärfst diese Bombe auf der Stelle!«
Tränen kullern über Henriks Wangen.
»Zu spät«, sagt er. »Sie hat einen Zeitzünder. Eingekapselt. An der Sicherheitskammer unten im Keller befestigt. Aber, Mutter, es ist nur eine kleine Bombe. Es sind nur die heidnischen Kleinodien, die in die Luft gesprengt werden.«
Anaflabia starrt ihn an. Auch wenn die Mutterliebe bedingungslos ist, kann sie den Unterkiefer herunterklappen lassen und Maulaffen feilhalten.
»Was wolltest du dann überhaupt noch hier?«, fragt sie.
Henrik wischt die Tränen ab.
»Ich wollte so gerne Fotos machen. Für mein Album. Damit ich sie irgendwann meinen Kindern zeigen kann. Deinen Enkeln, Mutter.«
Ich weiß, was jetzt viele sagen werden, auch Tilte. Sie werden sagen, dass diese Situation natürlich tragisch ist, aber auch eine phantastische Chance eröffnet. Wir sehen nämlich der Tatsache ins Auge, dass wir alle jederzeit in eine Lage kommen können, wo uns die Dinge um die Ohren fliegen. Und sollte es richtig schiefgehen, werden sie sagen, und Henriks Bombe ist doch größer, als er denkt, so dass ein paar von uns sich selbst um die Ohren fliegen, dann sagen alle großen Religionen, den besten Tod habe man, wenn zwei, drei Heilige in der Nähe seien, die durch die große Tür aus und ein gehen könnten, als wäre es die Drehtür des Herrenausstatters in Finø, von der wir hier reden.
Deshalb muss ich leider bekennen, dass ich diese Chance nicht nutze. Stattdessen melden sich meine Beine. Und ich würde sagen, es ist eine tiefe Erfahrung auf dem spirituellen Weg des Fußballspiels, dass zu bestimmten Gelegenheiten eine ganze Menge des höheren Bewusstseins in den Beinen sitzt.
Ich schwebe die Treppe hinab, ich fliege durch den Saal, wische an den Sicherheitsleuten vorbei, und ich sehe ihnen an, dass sie mich für eine Art Messdiener oder Novizen halten oder eine spirituelle Ausgabe der Jungen, die in Wimbledon die Bälle aufsammeln, und dann bin ich am Ziel und stehe vor meiner Mutter.
Die Erlebnisse, die meine Mutter durchgemacht hat, seit wir uns zuletzt gesehen haben, sind nicht spurlos anihr vorübergegangen. Sie hat augenscheinlich Dinge gesehen, mit der selbst die wirksamste Antifaltencreme nicht fertig werden würde. Die Furchen auf ihrer Stirn werden, falls wir Henriks Bombe überleben, dort eingegraben bleiben. Und nun, da sie mich ansieht, werden sie noch ein paar Zentimeter tiefer.
»Mutter«, sage ich, »unter dem Fußboden befindet sich eine Sprengladung, die an der Sicherheitskammer befestigt ist. Kannst du die Kammer dazu bringen, dass sie sich in den Tunnel hineinbewegt?«
Die meisten können in regelmäßigen Abständen nicht umhin, mit unserer Mutter ein ernstes Wort zu reden. Aber es kommt natürlich eher selten vor, dass man seine Mutter bitten muss, zweihundert Millionen Kronen ade zu sagen und direkt für vier Jahre ins Gefängnis zu gehen, mit einem Jahr Ermäßigung wegen guter Führung. Aber genau darum bitte ich meine Mutter nun, denn was sie machen müsste, würde die Schmierseife im Tunnel und ihren letzten Gaunerstreich enthüllen, das weiß sie, deshalb sieht sie mich mit einem, ich würde sagen wilden Ausdruck an.
»Ich kann nicht«, sagt sie.
Ich sage es frei heraus: Meine Mutter enttäuscht mich. Denn was sind zweihundert Millionen und vier Jahre Knast,
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