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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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Journalisten, die drum herum stehen, habenWind davon bekommen, was hier abgeht. Ein paar Blitzlichter flammen auf. Man kann erahnen, dass eine Fernsehkamera auf Henrik geschwenkt wird.
    Er klettert aus dem Sarg. Nicht mit der Eleganz, die er in einer solchen Situation normalerweise an den Tag legen würde, sondern so schnell, dass er schon weg ist, als wir beim Sarg ankommen.
    Da ich nun mal nicht größer bin, als ich bin, gehe ich in die Knie, erspähe Henrik zwischen den Beinen der Leute und nehme die Verfolgung auf. Er hält Kurs auf eine Türöffnung, hinter der eine Treppe nach oben führt, ich bin direkt dahinter und erreiche ihn ein Stockwerk höher.
    Wir gelangen auf eine Art Galerie, von der aus man den Saal überblickt, es ist die Empore aus der Zeit, als der Raum eine Kirche war, die alte Orgel steht noch da.
    Henrik entdeckt mich, dreht sich zu mir um und kommt auf mich zu. Ich flitze um die Orgelklaviatur herum. Henrik streckt seine Finger, um sie nach dem Sargaufenthalt wieder zu beleben. Ich muss an die hundertachtundzwanzig Ratten denken.
    »Henrik«, sage ich, »tue nichts, was du hinterher bereuen könntest!«
    Das ist keine Bemerkung, die reinen Tisch macht und selbst die Größten in die Knie gehen lässt, wie zum Beispiel die Bemerkung über Connys Nacken. Aber sie hält Henrik auf, er schaut mich gründlich an.
    »Kennen wir uns?«, sagt er.
    »Kann noch kommen«, sage ich. »Das ist einer der feinen Züge des Daseins. Vor uns liegen neue Freundschaften.«
    Dieser Gesichtspunkt lässt ihn kalt. Er gleitet weiter auf mich zu.
    Ein Schatten fällt auf ihn. Der Schatten meines großen Bruders Hans. Im nächsten Moment hat Hans Henrik umklammert und ihn in die Arme genommen.
    Obwohl wie gesagt eine klare Mehrzahl der Überzeugung ist, mein Bruder habe etwas von einem Prinzen, kann man nicht leugnen, dass sein Aussehen eher in Richtung Frankenstein geht, sobald es sich darum handelt, Schwache und Unschuldige gegen Übeltäter zu verteidigen. Und man wird den Gedanken nicht los, dass nach Ende der Auseinandersetzung von seinem Widersacher nur noch Haare und Nägel und etwas Knochenmehl übrig bleiben. Im Augenblick sieht er aus wie Frankenstein.
    Das merkt Henrik, deshalb stellt er sich tot.
    »Wenn du erlaubst«, sage ich.
    Ich durchsuche ihn. Und finde nur eine kleine, flache Kamera.
    Dabei hatte ich gehofft, eine Fernbedienung zu finden. Denn wenn ein Mann wie Henrik mit einer Mappe voll Plastiksprengstoff im Geheimtunnel unterwegs war, tut mir leid, dann doch nicht, um in aller Ruhe mit einer neuen Strategie gegen die Rattenplage experimentieren zu können.
    »Henrik«, sage ich, »können wir dich irgendwie dazu bringen, uns zu verraten, wo du den Sprengstoff versteckt hast?«
    Er lächelt mich an. Aber es ist ein Lächeln ohne die Wärme und das Verständnis, wie man sie bei Erwachsenen anzutreffen wünscht.
    »Du wirst es in Kürze erfahren«, sagt er.
    Es ist eine schwierige Situation. Ich blicke über den Saal. Die Teilnehmer haben zur Bühne gewandt Platz genommen. Rickardt gilt die Aufmerksamkeit aller.
    »Ich möchte gern an Goethes letztes Wort auf seinem Sterbelager erinnern«, sagt Rickardt.
    Das hat er von Tilte, sie hat eine lange Liste mit letzten Worten aufgestellt, die Menschen auf ihrem Totenbett gesagt haben. Sie liebt es, laut daraus vorzulesen und die Leute zu bitten, darüber nachzudenken, was ihre letzten Worte sein würden. Im Augenblick hätte ich mir gern etwas Aufmunternderes gewünscht, aber ich wurde ja nicht gefragt.
    »Mehr Licht«, sagt Rickardt.
    Im selben Moment wird aufgeblendet. Rickardt hat die Beleuchtung entsprechend arrangiert, schon vorher waren die Scheinwerfer auf ihn gerichtet, jetzt kommen noch zwanzigtausend Watt obendrauf. Ich entdecke meine Mutter und meinen Vater, sie stehen an der Seitenlinie.
    Dann erreicht uns eine Stimme von der Treppe hinter uns, es ist Tiltes Stimme.
    »Henrik«, sagt sie, »deine Mutter möchte gern mit dir sprechen.«
    Hinter Tilte türmt sich eine Frauengestalt auf. Die Bischöfin des Bistums Grenå, Anaflabia Borderrud.
    Es gibt Frauen, die mit Mann und Kind schwer vorstellbar sind. Ich meine das gar nicht negativ, beispielsweise ist es ja möglich, dass sie wie Johanna von Orleans oder Theresia von Avila oder Leonora Ganefryd geboren wurden, um eine große Aufgabe zu erfüllen, zu groß für Windelhöschen und Elternabende. Für mich ist Anaflabia eine Person dieses Formats.
    Aber wenn sich nun herausstellt, dass sie doch

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