Die Kinder der Elefantenhüter
glotzten wir oben in fünfzig Gesichter, die sich zu uns herunterbeugten, unter anderem Sonjas und Connys.
Derlei Erlebnisse sind ein Grund dafür gewesen, dass die Menschen im Laufe der Geschichte den Glauben an eine höhere Gerechtigkeit aufgegeben und die Sache selbst in die Hand genommen haben, und ich muss zugeben, dass wir uns zuallererst Bleirohre beschafften und Jakob und Kaj damit in die großen Wälder jagten, wo sie blieben und sich etliche Tage lang nicht in bewohnte Gegenden wagten. Doch dann obsiegt wieder das gute Herz, und Tilte sprach mit mir und spendierte mir eine Tour im Sarg, eine der alternativen, bei denen der Deckel offen bleibt, stattdessen massiert sie einem die Füße und predigt davon, wie wichtig es sei, vergeben zu können, wenn man in seiner geistigen Entwicklung Fortschritte machen möchte.
Aber als Simon und ich im Gemeindezentrum aufräumen wollten – und nebenbei gesagt eine standrechtliche Erschießung erwarteten –, sagten mein Vater und meineMutter, ich solle die Seife ruhig dalassen, sie wollten einige technische Details der Seifenbehandlung untersuchen, und als ich zu nächtlicher Stunde Licht im Zentrum bemerke und mich hinüberschleiche, sehe ich, wie meine Eltern die große Rutschbahn ausprobieren, sie haben zwei Hundert-Liter-Kanister daraufgestellt und führen ein umfassendes Experiment durch.
Diese Erinnerungen aus der Vergangenheit sowie die Merkwürdigkeit, dass sich unter Mutters und Vaters Rechnungen eine Quittung über eine Tonne Schmierseife und zwei Pumpen befand, werden nun von Tiltes und meinem vereinten Scharfsinn zusammengesetzt.
»Jede Nacht«, sage ich, »werden die Kostbarkeiten in die Sicherheitskammer hinuntergefahren. Es musste also Nacht werden. Dann brauchten Mutter und Vater nur noch in dem neuen Glasfiberboot zum Bootshaus zu schippern und den Sonnenuntergang zu genießen, dann hätte Mutter die Fernsteuerung vom großen Drachen- und Segelflugtag dabei, auf die sie gedrückt hätte und die dann irgendwie – so was ist ja kinderleicht für sie – die Kammer vom Fahrstuhlschacht abgekoppelt hätte. Und eine dicke Schicht Schmierseife auf dem Boden hätte die Kammer rutschen lassen, die wäre durch die Backsteinwand gegangen, wenn Mutter nicht die Geheimtür manipuliert hätte, damit sie sich öffnet wie die Tür zum Vorratskeller, und dann wäre die Kammer bis zu ihnen ins Bootshaus geschliddert, wo sie sie an Bord genommen und an einen unbekannten Ort gebracht hätten, da hätten sie sie mitsamt einer passenden Geschichte zu einem späteren Zeitpunkt gefunden und hätten gemäß Paragraph 15 Fundsachengesetz, Rundschreiben 76 vom 24. Juni 2003, den Finderlohn einkassieren können.«
»Und sie hätten Aufmerksamkeit erregt«, sagt Tilte. »Es wäre wie ein kleines Wunder gewesen. Auf die Art hätte man sie zu den ganz Großen gezählt.«
Wir gehen ein wenig weiter, in finstre Grüblereien versunken, wie schlimm alles hätte enden können.
»Es hängt zusammen«, sage ich. »Sehr ungemütlich das alles. Es bleibt nur eine Frage: Woher kommt die Seife jetzt?«
Tilte starrt mich mit wildem Blick an. Dann wissen wir es beide.
»Sie wollen es trotzdem versuchen«, sagt Tilte. »Sie wittern eine Chance. Nach der Entlarvung der Schweber sind sie die Helden der Polizei und des Tages. Sie haben einen phantastischen Finderlohn zu erwarten. Und kein Mensch hat ihre kleine Idee entdeckt. Sie sagen sich also: Warum sich mit einem Finderlohn begnügen, wenn man die doppelte Portion kriegen kann? Warum mit hundert Millionen rummurksen, wenn zweihundert drin sind? Das heißt, heute Abend, wenn Filthøj verschlossen und verrammelt ist, kommen sie mit ihrer Gondel angefahren, drücken auf die Fernbedienung und realisieren den ursprünglichen Plan.«
Klar, solche Eltern haben oft genug ihre Fürsorgepflicht vernachlässigt, wir kennen das. Aber diese Sache hier schlägt dem Fass den Boden aus. Ich erinnere mich nur an einen Fall, der dem hier das Wasser reichen könnte. Das war, als Tilte und ich zum ersten Mal allein nach Århus durften und aus der Fußgängerzone zu Hause anriefen, weil die Dame, die die Piercings machte, für die wir uns spontan begeistert hatten, meinte, sie müsse erst die Erlaubnis der Eltern haben. Vater war am Apparat und sagte, das komme jetzt etwas überraschend für ihn, er müsse erstmal mit Mutter sprechen. Tilte und ich standen kurz davor, Bodil Nilpferd im Rathaus Grenå anzurufen und sie zu bitten, unsern Eltern das
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