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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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darauf angelegt, mich nun allein zu lassen.
    Doch ich darf nicht protestieren, denn Tilte legt den Finger auf die Lippen.
    »Lars und Katinka«, flüstert sie, »spürst du das? Siehst du die Amoretten durch die Luft fliegen?«
    Falls du nicht weißt, was Amoretten sind, kann ich dich aufklären: Es handelt sich um kleine gemästete Englein, auch Putten genannt, wie man sie auf alten Postkarten sieht. Zwei solcher Karten hält Tilte jetzt in der Hand.
    Etliche Menschen auf Finø sind der Meinung, Tilte habe das Interesse an irdischer Liebe verloren, nachdem sie von Jakob Aquinas Bordurio Madsen verlassen worden war, der sich eines Tages berufen fühlte, sich in Kopenhagen zum katholischen Priester ausbilden zu lassen und den Rest seines Lebens mit Gebet und Enthaltsamkeit zu verbringen. Aber wir kennen Tilte privat, wir wissen, dass sie trotz Rückschlägen und Enttäuschungen im Herzen romantisch geblieben ist und Filme liebt, in denen sie sich am Ende kriegen, zu einer Musik, die klebt wie Zweikomponentenkleber,und in einer rosa Gondel in den Sonnenuntergang rudern. Manchmal denke ich, dass ihr vor allem deswegen der Spruch »Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage« missfällt, weil ihr das zu kurz vorkommt, weil eine Liebe von nur fünfzig oder sechzig Jahren schlicht lächerlich ist, denn wir sind auf die Ewigkeit aus. Ausgesprochen gern hilft sie Trauernden über ihre Verlassenheit hinweg, und ebenso begeistert entdeckt sie heftige Zuneigungen, ehe sich die Verliebten selber darüber im Klaren sind, und bringt sie auf Trab. Deshalb schleppt sie immer einen Stapel dieser Postkarten mit sich herum, mit denen sie nun vor meiner Nase herumwedelt.
    Vor meinen ungläubigen Augen zeichnet sie auf jede Karte ein Herz.
    »Die hier gebe ich Lars«, sagt sie, »und sage ihm, dass Katinka ihn unter der großen Akazie hinten im Garten treffen will. Du gibst mir und ihm zwei Minuten, dann überreichst du diese hier Katinka. Und sagst dasselbe. Mit der ganzen knabenhaften Glaubwürdigkeit, für die du bekannt bist.«
    »Wir haben sieben Minuten, dann steht der Professor hier.«
    »Es gibt Menschen«, entgegnet Tilte, »die in sieben Minuten ihren ganzen Lebenskurs geändert haben.«
    Hätten wir mehr Zeit gehabt und wäre ich weniger erschüttert gewesen, hätte ich sie um Nachweise gebeten, wer konkret sein Leben in sieben Minuten ändern konnte, aber jetzt fasst mich Tilte unter und zieht mich ans offene Fenster.
    »Da ist noch etwas«, sagt sie.
    Die Fenster der beiden Zimmer rechts und links von uns stehen wegen des schönen Frühlingswetters offen. Ausihnen erklingt ein weiches Klicken. Tilte zieht mich vom Fenster weg und schließt es.
    »Sie schreiben ihre Berichte über uns«, sage ich. »Auf ihren Computern.«
    Tilte nickt.
    »Petrus«, sagt sie, »wenn wir sie nun aus ihren Zimmern locken könnten, und zwar so fix, dass sie vergessen, ihre Rechner auszumachen? Würden wir dann nicht einer jungen Polizistenliebe den Anschub geben, den sie verdient? Und gleichzeitig einen Einblick in die Akten erhalten und sehen, was da über uns und Vater und Mutter steht?«
    Ich stehe hinter der Tür, als Tilte bei Lars anklopft und ihm die Puttenkarte überreicht, und ich sage frank und frei, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt meine Zweifel an Tiltes Liebestheorie hatte. Zweifel, die nun radikal zu Staub zerfallen. Denn in dem Augenblick, in dem Tilte wieder bei mir hinter der Tür steht, hören wir Lars in seinem Bad. Durch die Wand gehen die feineren Details leider verloren, aber es ist offensichtlich, dass er sich gleichzeitig fönt, die Zähne putzt und den Deostift in hektische Bewegung setzt und all dies in unter dreißig Sekunden. Dann düst er aus dem Zimmer und den Korridor entlang, als müsste er noch einmal zur Aufnahmeprüfung auf der Polizeischule.
    Mit der andern Karte in der Hand klopfe ich jetzt an Katinkas Tür.
    Von Leonora Ganefryd, einer nahen Freundin unserer Familie und Mitglied der buddhistischen Gemeinde auf Finø, die eine Firma zur Vermittlung von »sexuell-kulturellem Coaching«betreibt, weiß ich, dass viele Männer beim Anblick von Frauen in Uniform tief bewegt sind.Darf ich an dieser Stelle, ganz privat und unter vier Augen, gestehen, dass auch ich zu dieser Sorte gehöre?
    Irgendwann habe ich darüber mal mit Conny gesprochen und sie gefragt, ob es ihr mit Jungen auch so gehe. Sie spitzte nachdenklich die Lippen und sagte, um das wirklich herauszufinden, möchte sie mich bitten, die Uniform

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