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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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möchte ich an dieser Stelle doch gern erinnern – natürlich sehr klein ist und sich im Grunde vollkommen innerhalb des Gebäudes befindet. Eigentlich ist sie ganz unfrei, verglichen mit der großen Freiheit, von der meine Erzählung in Wirklichkeit handelt.

 
    Der Pfarrhof liegt gegenüber der Kirche, vom Store Bjerg ist es nur gut ein Kilometer, in der Droschke braucht man zehn Minuten, zu Fuß fünfzehn und im Mercedes zwei. Trotzdem sind diese zwei Minuten reich an, wie soll ich’s nennen, dramatischen Ereignissen, ich übertreibe nicht.
    Erstens muss ich niesen.
    Ich weiß nicht, welche Behandlung man in Thorlacius’ Neuem Bezirkskrankenhaus jenen bemitleidenswerten Geschöpfen anbietet, die an Asthma und Hausstauballergie leiden. Ich hoffe nur, man macht sie darauf aufmerksam, dass das Zusammenrollen auf dem Boden eines Weidenkorbs möglichst zu vermeiden ist.
    Während ich gegen den drohenden Niesanfall ankämpfe, sagt Anaflabia Borderrud:
    »Am besten wär’s, das hier als Nervenzusammenbruch eurer Eltern zu erklären. Beim letzten Mal hatten wir damit Glück, das hat die Situation gerettet. Aber bei vielen von uns bluten noch die Wunden, in denen sollte nicht auch noch gewühlt werden.«
    Darauf entgegnet Tilte, die Bischöfin habe vollständig recht, so sei es auch bei uns Kindern.
    »Die Polizei muss der Ansicht sein, dass etwas Kriminelles vorbereitet wird«, sagt die Bischöfin. »So etwas mögen wir gar nicht, weder in der Leitung des Bistums noch im Kirchenministerium.«
    Tilte erklärt, dass wir Kinder dem Kirchenministerium in diesem Punkt völlig zustimmen.
    »Wenn es dagegen ein Zusammenbruch wäre«, sagt Anaflabia Borderrud, »oder eine Depression, die mit einer Einweisung geheilt werden könnte. Deswegen will ich ins Pfarrhaus. Und möchte Thorlacius-Drøbert dabeihaben. Mit seiner langen Berufserfahrung. Sein Wort wird in dieser Sache schwer wiegen. Es geht darum, eure Eltern ausfindig zu machen und der Polizei zuvorzukommen. Um den Rest kümmern wir uns schon, der Professor und ich. Habt ihr irgendwas Besonderes an euren Eltern bemerkt, bevor sie verschwanden?«
    »Es ist hart für eine Tochter, so etwas zuzugeben«, sagt Tilte. »Aber das Wort ›unzurechnungsfähig‹ trifft es wohl am besten.«
    Wenn Tilte nichts Derartiges gesagt hätte, wäre es mir hundertprozentig gelungen, das Niesen zu unterdrücken. Indem ich schlicht dem tiefgreifenden Rezept gefolgt wäre, das alle großen spirituellen Systeme im Programm haben: Um zur Freiheit zu gelangen, versuche, in dich hineinzulauschen, frage dich, wer es ist, der niesen zu müssen meint, oder: Von welcher Bewusstseinsquelle würde das Niesen erfasst werden, wenn es käme?
    Leider muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass so ein Bewusstseinstraining einen Überschuss an Kräften verlangt, jedenfalls bei Anfängern. Als ich aber Tiltes Replik höre, leide ich eher an Kräftemangel und gehe auf dem Zahnfleisch, und mit ihrer Bemerkung rangelt sie mit den größten Verrätern der Weltgeschichte um den ersten Platz, mit Judas, Brutus und Kaj Molester Lander, der außer den Möwennestern etliche meiner Pfifferlingsstellen im Finøer Wald geplündert hat, womit ich noch nicht erwähnt habe,dass er und Jakob Aquinas Bordurio Madsen mich damals dazu verführten, zur Mister-Finø-Wahl auf die Bühne zu steigen.
    Man würde mich nie dazu bringen, die Zurechnungsfähigkeit meiner Eltern so ohne weiteres zu bestätigen, wirklich nicht. Aber erstens gehört die Tatsache, dass die eigenen Eltern meschugge sind, zu den kleinen Familiengeheimnissen, die man nicht in alle Welt hinausposaunen sollte. Zweitens waren sie am Tag ihrer Abfahrt keineswegs gestörter als im Jahresdurchschnitt.
    Kurzum, der Schock löst den unterdrückten Nieser aus.
    Nicht einmal Anaflabia Borderrud ist es möglich, eine anständige Höhe zu erreichen, wenn der Sprung aus sitzender Stellung von der Hinterbank eines Autos ausgeführt wird. Aber ich höre, dass sie zumindest den Versuch unternimmt und mit dem Kopf gegen das Wagendach knallt.
    Im selben Augenblick sind wir glücklicherweise angekommen, der Wagen hält, es wird ausgestiegen, wir sind am Pfarrhof.
    »Der Korb muss raus«, sagt der Professor, »ohne Aufsicht lass ich den nicht im Wagen, die Polster sind nagelneu.«
    Der Korb und ich werden herausgehoben und auf die Erde gestellt, sehr behutsam, mein Nieser und Tiltes Warnung hängen noch immer in der Luft.
    Es wird still, vielleicht eine Minute lang, dann wird der

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