Die Kinder der Elefantenhüter
hinausgingen. Von diesen Reisen haben die Finø-Bewohner Männer und Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft mitgebracht, und auf diese Weise wurden der Insel viele verschiedene Namen zugeführt, von denen leider, aber unvermeidlich, solche wie eben Aquinas Bordurio Madsen die Nebenwirkung haben, dass man stöhnend im Dunkeln liegt und nicht schlafen kann, wenn man sie zum ersten Mal gehört hat.
Auf dieselbe Weise sind auch viele Religionen nach Finø gekommen. Jakobs Familie ist katholisch, er trägt stets einen kleinen Rosenkranz mit sich, den er durch die Finger laufen lässt, während er innerlich das Ave Maria betet, er betet pausenlos, er ist berühmt dafür, dass sein Rosenkranz nie stillsteht, nicht einmal während seines siegreichen Finales im Standardtanz in Ifigenia Bruhns Tanzinstitut, das am Storetorv liegt.
Dies ist natürlich ein kleines Detail, das man sich vor Augen halten muss, wenn man Jakobs geistigen Zustand beurteilen soll, also dass er Turniertänzer ist und das Ave Maria betet und an jedenfalls zwei, drei größeren Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitgewirkt hat, wie damals, als er und Kaj Molester heimlich drei Schulklassen auf den Laubengang des Gemeindezentrums führten, während Simon Säulenheiliger und ich sich ausgezogen hatten und die spirituellen Möglichkeiten der Schmierseife untersuchten, worauf ich später noch zurückkommen werde. Aber das reicht nicht, um zu erklären, was sich zwischen ihm und Tilte ereignete, denn Jakob ist eine Person,die in den vielen Jahren, die wir ihn kennen und haben aufwachsen sehen, trotz gewisser Charaktermängel auch viele menschliche Qualitäten bewiesen hat. Beispielsweise stand er in der ersten Mannschaft des Finø Boldklubs an meiner linken Seite im Sturm, und er hat Torschüsse von einer derartigen Klasse auf Lager, dass ich und etliche andere darüber hinwegsehen konnten, dass er sechsmal die dänische Meisterschaft im Standardtanz gewann, eine Bewegungsform, auf die wir im Klub mit dem gleichen Mitleid zu sehen pflegen, mit dem eine Mutter ihr krankes und bettlägeriges Kind betrachtet.
Trotzdem verspürte er plötzlich eine Berufung.
Ich werde sofort erklären, was eine Berufung ist. Aber zunächst muss ich erzählen, wie es Tilte und Jakob ging, damit du den Umfang der Katastrophe ermessen kannst: Tilte und Jakob waren glücklich.
Auch mit ihren früheren Freunden war Tilte glücklich. Aber auf andere Weise, denn diese Freunde waren pflegeleicht. Mit ihnen war sie glücklich gewesen wie Basker mit seinen Hundefreunden, also an der Spitze der Hierarchie. Selbst der blutrünstigste Hund auf Finø, Rettungs-Johns grönländischer Schlittenhund Graf Dracula, der einem weißen Plüschbären ähnelt, aber zweimal gerichtlich zur Einschläferung verurteilt wurde, und der zwei Maulkörbe übereinander trägt, wenn John ihn an einer Kette Gassi führt, selbst der bepisst sich vor lauter Schreck, wenn Basker einen Tag mit Migräne hat. Kurzum, mit dem Standing kann man problemlos alle anderen Hunde lieben, um ehrlich zu sein – auch wenn das auf Basker zurückfällt.
Mit Tilte und Jakob war es anders. Man sah es ihnen an, wenn man sie auf der Straße traf. Natürlich waren sie verliebt und blickten sich so verträumt in die Augen, dass mansich in bestimmten Momenten auf schauerliche Weise an Gedichte meines Bruders Hans erinnert fühlte. Aber obendrein waren sie Kumpels und zugleich Gegner, das kann man nicht erklären, aber es war dennoch wirkliche Liebe.
Es währte ein halbes Jahr, dann empfing Jakob diesen Ruf. Als er eines Tages die Brücke der Badeanstalt im Westen von Finø überquerte, wo er einen Ferienjob als Lebensretter hatte, vernahm er eine innere Stimme, die ihn dazu drängte, die Insel zu verlassen, nach Kopenhagen zu gehen, katholischer Priester zu werden und sein Leben lang unverheiratet zu bleiben.
Zwei Monate später war er abgereist.
Nun weiß ich nicht, wie es in deiner Nachbarschaft so aussieht. Aber auf Finø gibt es des Öftern Menschen, die eine Berufung verspüren, bei der dann Gott oder Buddha oder ein Avatar oder vier Engel zu ihnen sprechen und mit Befehlen oder Vorschlägen kommen. Ich persönlich habe das nie erlebt. Falls es aber irgendwann einmal der Fall sein sollte, würde ich alles in Bewegung setzen, um den Absender zu ermitteln. Ein Beispiel dafür ist Rickardt Graf Tre Løver, er nahm an der Gesangs- und Tanzprobe des Amateurtheaters Finø für Die lustige Witwe teil und strebte die Hauptrolle
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