Die Kinder der Elefantenhüter
wieder auf Vaters Schreibpult gelegt, dort warten sie auf die plötzliche Offenbarungfür seine nächste Predigt. Dann steht er einen Augenblick da und versichert sich, dass ihn alle gesehen haben, Achtung, Vater arbeitet, Vater ist durchströmt von einer genialen Idee. Aber sie haben sie in verkehrter Reihenfolge hingelegt, Vater fängt immer mit den harten Stiften an und endet mit den weichen.
Das Portemonnaie mit dem Haushaltsgeld liegt an seinem Platz auf dem niedrigen Regal, ich mache es auf, es enthält ein dickes Bündel Geldscheine, so viel hinterlegen Vater und Mutter normalerweise für uns, wenn sie eine Woche wegfahren. Ich stecke die Scheine in die Tasche, irgendetwas sagt mir, dass wir sie noch brauchen können.
»Fotos«, sagt Tilte. »Sie haben Fotos gemacht. Dann haben sie alles auseinandergenommen. Und dann haben sie den Aufnahmen entsprechend alles wieder an seinen Platz gestellt. Aber wann?«
Wegen des Gartens, der im Norden an die Kirche stößt, hat man den Eindruck, der Pfarrhof liege wie das kleine Häuschen im großen Wald. Aber das stimmt nicht, rundherum liegen andere Gebäude, das alte Glöcknerhaus, in dem Bermuda Svartbag ihr Bestattungsinstitut und ihre Geburtsklinik hat, das Fremdenverkehrsamt, das Fischerhaus, in dem Leonora Ganefryd ihr Coaching-Unternehmen führt, das Finøer Heimatmuseum und schließlich die Gardinen- und Plissémontage Finø, wo Kaj Molester Lander seine Untaten ausheckt. Und die Stadt Finø ist im Großen und Ganzen eine Art Ameisenhaufen, man muss nur irgendwo stochern, schon wimmelt der ganze Ort.
»Nachts«, sage ich mit dem ganzen Gewicht einer dunklen Vergangenheit, in der die Gärten unschuldiger Menschen ausgeraubt wurden. »Sie haben es in einer Nacht getan.«
Die Arbeitszimmer meiner Eltern liegen hintereinander, die Verbindungstür steht immer offen, es sei denn, Vater führt ernste Gespräche mit Pfarrkindern. Bevor Vater und Mutter zum ersten Mal verschwanden, waren es in gewisser Weise die Geräusche aus diesen beiden Räumen, die den Pfarrhof zusammen- und auf Kurs hielten, während Hans, Tilte und ich unsere jeweiligen Tornados verursachten. Aus dem Zimmer meines Vaters hörte man das Geräusch seines Bleistifts auf dem Papier, wenn er an der Predigt für den nächsten Sonntag schrieb, oder der Tastatur, wenn er sie abtippte. Aus Mutters Zimmer hörte man das Geräusch der Elektrozangen, die sich in irgendetwas festbissen, oder das schwache Zischen, wenn der Lötzinn schmolz, oder ihren Gesang, wenn sie an dem Programm der Stimmenidentifizierung arbeitete.
Von der Küche aus kommt man zuerst in Vaters Zimmer, von dem aus man in Mutters sehen kann, und wie üblich haben sie vor ihrer Abreise aufgeräumt, eine Ordnung, die die Techniker der Polizei wiederhergestellt haben, nachdem sie alles auf den Kopf gestellt hatten; diesen aufgeräumten Zustand sehen wir uns jetzt etwas gründlicher an.
Er ist rasch überblickt, denn in Vaters Zimmer stehen nur der große Schreibtisch, der Rechner, ein großes Regal mit Büchern für seine Arbeit als Pfarrer, mehrere tausend, aber nichts im Vergleich zu dem, was im Wohnzimmersteht. All dies beachten wir nicht. Wir schauen auch nicht auf die Bilder an der Wand, die laut Tilte Reproduktionen von Gemälden sind, die in den Uffizien in Florenz hängen und heilige Männer und Frauen darstellen, denen eine Offenbarung zuteilwird, oder nackte Damen, die aus Muscheln steigen. Letztere, hatte Tilte zu Vater gesagt, dürfe man hier nicht hängen haben, was sollten denn die Konfirmanden dazu sagen, wenn sie im Pfarrhaus eingeladen waren! Da Vater die Bilder nicht entfernte, kramte Tilte auf dem Boden passende Barbieunterwäsche heraus und klebte sie auf die Bilder, so dass man jetzt die schaumgeborene Venus in Schlüpfer und BH sieht. Vater hat es so gelassen, und wenn die Leute fragen, entgegnet er ganz ernst, das sei seine Tochter Tilte gewesen, sie wolle »die Empfindung von Nacktheit dämpfen«.
Besonders wenn Tilte in der Nähe ist, sagt er das gerne, es gehört zu den kleinen Spielchen einer Familienidylle.
Hinter dem Bild befindet sich der Safe mit den Kirchenbüchern, und als wir das Bild abhängen, sieht der Safe zunächst aus wie immer. Aber als wir an der Tür ziehen, geht sie auf. Die Kirchenbücher liegen, wo sie liegen sollen, aber anstelle des Schlosses mit dem Mikrofon und der elektronischen Steuerung ist da jetzt ein Loch, jemand hat den Schließmechanismus herausgebohrt.
Wortlos hängen wir
Weitere Kostenlose Bücher