Die Kinder der Elefantenhüter
das Bild wieder auf und richten unser Interesse auf den großen Schrank am Ende des Raums.
Es ist der Kleiderschrank meines Vaters.
Man soll sich in ihm nicht täuschen. Obschon er nicht wie Tilte und meine Mutter einen eigenen Güterwagen für seine Garderobe braucht, wenn er mal eine Woche an der Theologischen Hochschule zubringt, weiß er sich dochanzuziehen, und zwar bis ins kleinste Detail. Persönlich bin ich ja der Auffassung, dass sie dem Propsteigericht nur seine knappe Badehose hätten vorlegen müssen, dann hätten sie ihn hundertprozentig verurteilen können, wegen dieser Badehose, die er im Sommer anhat, wenn er mit meiner Mutter im Arm am Sønderstrand entlanggeht und versucht, einen seit neunzehn Jahren verheirateten Familienvater und Pfarrer der Evangelischen Kirche zu mimen und gleichzeitig einen brüllenden Strandlöwen.
Das heißt, mein Vater achtet auf seine Kleider, als wären es Kirchenkleinodien, deshalb wird uns ein Blick in seine Garderobe verraten, was er vorhat, denn unser Blick ist unerbittlich.
Zunächst scheint es, als hätte er gar nichts vor, weil nämlich noch alles da ist. Rechterhand stehen vorn die drei Büsten mit dem Talar, dem Smoking und dem Frack. Dahinter hängen sein Anzug und der Mantel. Links sind die Borde mit seinen Halskrausen für den Talar. Der ganze Schrank duftet nach einem Parfüm, das Knize Nr. 9 heißt und das er sich aus Wien schicken lässt, und ich habe nicht übel Lust, die Schranktür gleich wieder zuzuknallen, denn ich finde, falls das Propsteigericht ihn nicht wegen der knappen Badehose wegsperren kann, sollte man ihn wegen dieses Herrendufts kassieren.
Aber Tilte will mich die Tür noch nicht zumachen lassen.
»Hier stimmt was nicht«, sagt sie.
Sie zieht mich mit in den Schrank hinein. Hinter den Büsten tasten wir uns durch aufgehängte Hemden mit Manschettenknöpfen aus Perlmutt in kleinen Beuteln, und dann erreichen wir das Ende des Schranks und stehen vor zwei leeren Büsten.
»Was hat hier gehangen?«, fragt Tilte.
Ich aktiviere meinen berühmten Ordnungssinn und mein gutes Gedächtnis, dann kommt die Erinnerung. Natürlich passiert es nicht oft, dass man bis ans Ende des Garderobenschranks seiner Eltern vordringt. Aber zweimal im Jahr wird alles in die Sonne und den Wind gehängt; meine Mutter sagt, dann brauche man nichts gegen Motten zu unternehmen, die könnten nämlich keinen Sonnenschein vertragen.
Also ich finde ja, wenn die Schädlinge den Geruch von Knize Nr. 9 und den Anblick der Seidenhemden meines Vaters ertragen, dann braucht es mehr als so ein bisschen Sonnenschein und Seebrise, um ihnen das Leben zu nehmen, aber wir haben zu Hause eine klare Arbeitsteilung, und meine Mutter ist die technische Sachverständige, also kommen die Kleider zweimal im Jahr an die frische Luft. Und dort habe ich sie gesehen, und sie haben sich in meinem Gedächtnis festgesetzt.
»Sein zweiter Talar«, sage ich. »Und ein alter Smoking. Die hingen hier auf den Büsten.«
Wir begeben uns auf den Rückweg, der uns wieder aus dem Schrank herausführen soll. Und passieren die drei vorderen Büsten. Ich lasse meine Hand über den schwarzen Wollstoff gleiten.
»Das hier«, sage ich, »ist Vaters alter Talar. Er hat den neuen mitgenommen.«
Jeder andere Pfarrer in Dänemark wäre mit einem Talar wie Vaters altem zufrieden. Tatsächlich ist jeder andere Pfarrer damit zufrieden, denn der Talar stammt aus der Ballenkop Uniformschneiderei auf Samsø, die die Talare für alle Pfarrer in Dänemark schneidert. Außer für den Pfarrer von Finø. Vaters Gewand ist aus Kaschmir, genähtauf besondere Bestellung bei Knize in Wien und für einen Preis, der ein Familiengeheimnis bleiben muss, um einen Volksaufstand zu verhindern.
Tilte und ich, wir sehen uns an. Wir denken dasselbe, und Tilte spricht es aus.
»Sie sind nicht auf Gomera.«
Unser Vater würde weit gehen, um Aufmerksamkeit zu erregen, auch auf den Kanarischen Inseln. Aber nicht so weit, in vollem Ornat am Rand eines Swimmingpools aufzutreten.
Wir betreten Mutters Arbeitszimmer, Tilte pfeift die erste Strophe von Mignons Gesang »So lasst mich scheinen« aus Schuberts Goethe-Liedern, und der Raum wird strahlend hell erleuchtet. Alle elektrischen Funktionen im Haus haben einen Schalter, können aber auch aktiviert werden, indem man verschiedene Ausschnitte aus Schuberts Liedern singt. Die Stereoanlage geht an bei Mignons »Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen«. Der Toaster funktioniert
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