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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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beim Vers »Ein Blick von deinen Augen in die meinen«, und das Gästeklo im Entree spült auf »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide«.
    Mutters Arbeitszimmer ist eigentlich kein Zimmer, sondern eine Werkstatt, und eigentlich nicht eine, es sind deren vier, denn in jeder Ecke ist ein anderer Arbeitsplatz eingerichtet. Unter dem Fenster stehen die Computer, zum Wohnzimmer hin liegt die Ecke mit der Radioelektronik, schräg gegenüber steht ein langer Tisch mit Schraubzwingen und einer kleinen Drehbank für die Feinmechanik und auf der anderen Seite der Tür eine Hobelbank.
    Über jedem Arbeitstisch ist an Sperrholzplatten das Werkzeug aufgehängt, und auf die Platten wurden die Umrisse jedes einzelnen Werkzeugs gezeichnet, deshalb sehen wir auf den ersten Blick, dass alles an seinem Platz ist.
    Wir schauen in die Runde. Wie sollen wir hier irgendetwas entdecken, was dem großen Geheimdienst der Polizei entgangen ist?
    Ich mache die Tür zum Besenschrank auf und hole den Staubsauger heraus. Wenn man in einem Haus mit Frauen staubsaugt, landen recht häufig unentbehrliche Kostbarkeiten im Staubsaugerbeutel, Ohrringe oder Halsketten oder Stücke von Tiltes Haarverlängerungen. Im Untersuchen von Staubsaugerbeuteln bin ich also ziemlich geübt, ich weiß, dass sie viel darüber verraten, was in den Räumen vor sich ging, in denen gesaugt wurde.
    Leider deutet einiges darauf hin, dass auch die Polizei mit dieser Übung vertraut ist, denn der alte Beutel ist weg und durch einen neuen, leeren ersetzt worden.
    Wer so mit einem Sauger in der Hand dasteht, kann ihn auch umdrehen. In den Bürsten der Düse sitzt ein Hobelspan. Den pule ich heraus.
    Im Grunde ist ein Hobelspan nicht weiter aufregend, besonders nicht in einem Raum mit Hobelbank und drei Hobeln auf dem Werkzeugbrett plus einem elektrischen.
    »Es ist drei Monate her, dass Mutter mit Holz gearbeitet hat«, sage ich.
    Ich sehe mir den Span von allen Seiten an. Hobelspäne haben ein kurzes, aber schönes Leben. Wenn sie frisch sind, sind sie elastisch wie Korkenzieherlocken, sie sind fast durchsichtig und duften nach Holz. Aber binnen einer Woche trocknen sie aus und brechen und zerfallen zu Staub. Der in meiner Hand ist noch frisch. Zwar das Alter schon vor Augen, das uns früher oder später alle ereilt, aber noch frisch.
    Tilte und ich denken dasselbe: Es ist nicht auszuschließen, dass die polizeiliche Reisegruppe die Gelegenheit zur Heimarbeit genutzt und ein wenig gewerkelt hat, mit Laubsäge und Abrichthobel. Vielleicht um ein Mitbringsel für die Kinder zu basteln. Unmöglich ist das nicht. Aberauch nicht sehr wahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass Mutter kurz vor ihrer Abreise noch etwas gehobelt hat. Und dass sie oder die Polizei den Span in den Bürsten der Düse übersehen haben.
    Der Span stammt von einem dunkelbraunen Holz mit weißer Zeichnung. Man kann nicht auf einem Pfarrhof mit Kaminofen wohnen und eine schreinernde Mutter haben, ohne ein Gefühl für Holz zu entwickeln. Dies hier ist eine harte Holzsorte. In Richtung Edelholz. Aber kein Mahagoni oder Teak.
    Wir haben beide denselben Gedanken. Wieder brauchen wir nichts zu sagen. Mir geht es mit meiner Schwester wie damals mit Jakob Aquinas Bordurio Madsen beim Fußball, in den neunzig Minuten von der Freigabe des Balls bis zum Abpfiff hatten wir telepathischen Kontakt miteinander. Tilte und ich stiefeln schnurstracks in die Küche, und Tilte erhebt die Stimme und singt »Ach, sein Kuss!«.
    Der Liedfetzen stammt aus »Gretchen am Spinnrade« und ist eine Wahl, der wir Kinder zustimmen mussten, weil das Familienleben nun mal aus einer langen Reihe von Kompromissen besteht. Dafür wird sich jeder über den Anblick freuen, der sich nun unsern Augen bietet. Die Luke zum Vorratskeller geht auf, die Leiter entfaltet sich, und vom Boden erhebt sich ein Geländer, das kleine Kinder und Hunde vor dem Sturz in die Tiefe bewahren soll. Am Schluss wird das Licht angeschaltet.
    Der Vorratskeller hat zwei Räume: den Heizungskeller, wo neben der Heizanlage auch die Waschmaschine und der Trockner stehen und wo Wäsche aufgehängt wird, und den eigentlichen Vorratsraum, in den wir jetzt gehen.
    Er ist ziemlich groß, was auch nötig ist, wenn man bedenkt, wie mein Vater Essen zubereitet.
    Wo genau er seine Rollenmodelle herhat, wissen wir nicht. Das ganz große Vorbild ist jedenfalls nicht seine Mutter, ich sagte es schon, und ebenso wenig der Erlöser, denn der kam ja bekanntlich mit fünf

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