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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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Broten und zwei Fischen aus, oder war’s umgekehrt, und mit diesem Spruch »Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie arbeiten nicht mit Entenrillettes und essen sich trotzdem satt«. Mein Vater hat einen anderen Stil, er gründet eher auf dem Kontakt zu Delikatessfirmen und ausgesuchten Schlachtern auf dem Festland und auf etlichen in der Küche zugebrachten Stunden in gelöster Stimmung. Und dann gründet er auf dem, was hier vor uns steht, Regalmeter um Regalmeter mit Chutneys und Relishes und Kompotten und Säften und eingeweckten Früchten der Saison.
    Wir stehen in einem Raum, dessen Wände gut genutzt sind. In dem man aber nichts verstecken kann. Hier gibt es nur den nackten Boden, ein Weinregal, das eine ganze Wand bedeckt, und dann die meterlangen Regale mit Flaschen und Einmachgläsern.
    Die Regale sind aus Merbau-Holz. Mutter baute die Regale für den letzten, noch nicht genutzten Teil der Wand vor einem halben Jahr. Daran haben wir uns erinnert.
    Und diese Wand schauen wir uns nun näher an.
    Es ist ganz in Mutters Geist und Stil, etwas zu verbessern, was sie vor einem halben Jahr gebaut hat. Oder vor sieben Jahren. Aber es ist nicht ihr Stil, zwei Stunden, bevor sie aus der Tür und nach Gomera oder sonst wohin soll, also zwei Stunden vor einer Abreise draufloszuhobeln.
    Tilte und ich wechseln kein Wort, aber innerlich tun wir dasselbe. Was wir beide suchen und wovon wir nicht wissen, was es ist, können wir nicht durch Nachdenken finden.Gedanken bewegen sich nur in bekannten Bahnen, und wir suchen nach dem Unbekannten. Wir schauen bloß auf den Wandabschnitt mit den neuen Regalbrettern. Auf die Gläserreihen mit Himbeeren, Hagebutten und Pflaumen, schwarzem Johannisbeersaft, ganzen eingelegten Zitronen aus Amalfi, Tamarinchutney. Auf die braunen Regalbretter. Auf die Regalträger. Auf die weiße Wand.
    Gleichzeitig fühlen wir nach innen, auf den, der sieht, auf die Stelle in einem selbst, von der aus man begreift, was man sieht, und dort versuchen wir alle vorgefertigten Vorstellungen zu streichen. Um Platz zu schaffen für das, was wir uns noch nicht vorstellen können. Diese Methode haben sämtliche Mystiker empfohlen.
    Wir sehen es im selben Moment. Es ist kein bestimmtes Objekt, es ist ein Muster. Das oberste und das unterste Brett und die Reihe der Träger dazwischen bilden ein Viereck. Wie eine Tür.
    Tilte lässt ihre Finger an den Fugen entlanggleiten. Sie fühlt nichts. Mutter liebt Fugen. Sie schraubt keine Schraube ins Holz, ohne das Loch hinterher zu schließen. Als sie im Zimmer meines Vaters den Fußboden aus Douglasfichte gelegt hat, durfte ich mit einem Zapfenfräser tausendfünfhundert Zapfen ausbohren. Also fühlt Tilte natürlich nichts. Die Fuge an der Kellerluke ist nur bei hellem Licht sichtbar.
    »Da könnte eine Tür sein«, sagt Tilte.
    Wir klopfen an die Wand, aber es klingt nicht hohl. Und es gibt keine Klinke oder etwas in der Art.
    »Sie würde stimmgesteuert sein«, sage ich. »Sie würde nur auf die Stimmen von ihnen beiden reagieren. Es wäre ein Kode, der sie verbindet.«
    Wir schauen uns an und denken an Vater und Mutter.Wir versuchen, ihr Wesen zu erspüren. Das klingt seltsam, lässt sich aber machen. Und nicht nur mit den eigenen Eltern. Im Grunde tragen wir in uns einen Abdruck aller anderen Menschen.
    Wir wissen es im selben Moment. Tiltes Augen leuchten auf. Bestimmt sieht sie auch das Licht in meinen, wir brauchen nichts zu sagen.
    Gleichzeitig auf eine Idee zu kommen, bei der sich beide sicher sind, ist das eine. Aber was jetzt passiert, ist viel mehr. Es ist, als ob Tiltes und mein Bewusstsein ein Stück weit dasselbe wäre. Es erinnert an die drei alles überragenden Fälle pro Saison, in denen Jakob Aquinas und ich uns beim Fußballspielen blind verstanden, in denen wir uns trotz einer Verteidigung, die so dicht und undurchdringlich war wie eine schwarze, mondlose Nacht im Nebel, einfach fanden und Jakob wie Basker, der meinen Eltern das Finø Folkeblad ans Kopfkissen bringt, mir den Ball auf den linken Schlappen servierte und ich die Kugel oben im linken Winkel versenkte, und zwar mit derselben ruhigen Gründlichkeit, mit der man eine Briefmarke an ihren Platz ins Album klebt. Bis Jakob seine Berufung verspürte.
    Im Wohnzimmer zerlege ich die Anlage und trage den CD-Spieler in den Keller. Tilte nimmt die Lautsprecher. Den Verstärker tragen wir gemeinsam, er ist schwer, als hätte sich einer der polizeilichen Getreuen

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