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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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technischen Verbesserungen.«
    »Das ist nicht unwahrscheinlich«, sage ich.
    In dem kleinen Tempel herrscht Stille. Wir sind nachdenklich und nach innen gekehrt. Wenn es etwas gibt, denken wir, was man nur ungern in den Händen zweier Typen wie unserm Vater und unserer Mutter wissen möchte, dann sind es Waffen und Sprengstoff.
    Leonora zeigt auf die Kugelschreibernotiz.
    »Diese Mailadresse lag da als separates Dokument«, sagt sie. »Zusammen mit dem Wort Brahmacharya . Das ist Sanskrit und bedeutet ›Enthaltsamkeit‹, besonders im Sinne von sexueller Enthaltsamkeit. Warum das wohl in der Korrespondenz eines Schiffsreeders steht?«
    »Daran können sich doch alle erfreuen«, sagt Tilte. »Auch Reeder.«
    Wir blicken über das Meer. Man ahnt noch den letzten Rest des Sonnenuntergangs, nicht mehr als Farbe, nur noch als letztes Glimmen. Ich stelle mir die Szene vor. Leonora neben Mutter und Vater im Pfarrhaus. Vor dem Bildschirm. Tilte hat mir einmal gesagt, der tiefste Grund, warum Leonora Reichtum und Berühmtheit abgelehnt hat, als die Headhunter sie locken wollten, sei das Interesse an dem, was im Innersten der Menschen vor sich geht. Und Sex und verschlüsselte digitale Information sind zwei Wege, die ins Innerste führen.

 
    Es zählt zu den unerklärlichsten Mysterien, wie Geschwister, die auf die gleiche Weise aufgewachsen sind, so verschieden werden können. Wie nun ich und Tilte und Basker.
    Viele meiner guten Bekannten auf Finø sagen von mir, Pfarrers Peter, der ist dermaßen höflich und respektvoll, also wenn der nicht als Profi zu Aston Villa geht, wird er bestimmt eine Benimmschule aufmachen.
    Eine der von mir stets eingehaltenen Regeln lautet, es ist unfein, in anderer Leute Schränke zu gucken, das gilt auch für Leonoras Tempel auf der Düne. Tilte und Basker kennen diese Regel nicht. Sie stecken ihre Nase in fremde Sachen, ganz egal, wo sie sind. Wenn man sie auf Besuch zu fremden Leuten mitnimmt, geht Tilte umher, und während sie sich unterhält und die Leute fragt, wie’s ihnen geht, öffnet sie ihre Schubladen und schaut in ihre Kalender und Telefonverzeichnisse und erkundigt sich, was sie heute noch so vorhätten und wer die Person sei, deren Nummer hier stehe. Und die Leute finden sich damit ab, sie sitzen nur da und lassen sich ihr Dasein und ihre Kleidungsstücke von Tilte auf links drehen, vielleicht weil sie merken, dass es keine böse Absicht ist, sondern nur Ausdruck einer so starken Neugier, dass sie keine Kraft haben, sich dagegen aufzulehnen.
    So ist es auch jetzt. Während wir mit Leonora sprechen, geht Tilte umher und öffnet Schubladen, nimmt Dingeheraus, betrachtet sie und legt sie zurück, zieht einen Vorhang beiseite, und hinter dem Vorhang steht eine gepackte Reisetasche.
    »Ich wusste nicht, dass man das Retreat verlassen darf«, sagt sie.
    »Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, kommt nach Kopenhagen«, sagt Leonora. »Alle Buddhisten in Dänemark fahren hin.«
    »Was mag seine Heiligkeit wohl in Kopenhagen wollen?«, fragt Tilte.
    »Da findet eine große Konferenz statt. Ein Treffen aller großen Weltreligionen. Zum ersten Mal überhaupt. Es geht um religiöse Erfahrungen. Für Wissenschaftler, religiöse Führer und Gläubige. Die Tagung heißt Große Synode.«
    Wenn wir im Pfarrhaus gewesen wären, hätte ich gesagt, es geht ein Engel durchs Zimmer. Aber Leonora ist ja Buddhistin, unsere religiösen Recherchen in der Stadtbücherei und im Netz haben ergeben, dass die himmlischen Wesen im Buddhismus »Devas« heißen, also an dieser Stelle wäre es wohl korrekter zu sagen, es geht ein Deva durchs Zimmer.
    »Und wie willst du da hinkommen?«, fragt Tilte.
    »Laksmi holt mich ab«, sagt Leonora. »Im Leichenwagen. Dann müssen wir noch bei Lama Svend-Helge, Gitte Grisanthemum und Sindbad al-Blablab vorbei.«
    Laksmi alias Bermuda Svartbag Jansson gehört mit zum hinduistischen Aschram auf Finønæs, der wie gesagt von Gitte Grisanthemum geleitet wird, Gitte trägt den spirituellen Namen Antamuna Ma, was »Mutter der Stille« bedeutet. Gitte und ihr Mann hatten eine Schweinezucht am Rande von Finø-Stadt geerbt, die aber von der Gemeindegeschlossen wurde – sogar auf Finø, wo wir eigentlich widerstandsfähig sind, hält sich die Bereitschaft, neben einem Peststinker wohnen zu wollen, in Grenzen. Außerdem lärmte die Farm wie ein Löwengehege zur Fütterungszeit, vielleicht wurde Gitte deswegen in etwas mit »Stille« umgetauft. Nach der Schließung ließ sie sich von

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