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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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schnell nach Zärtlichkeit, auch wenn sie sich ein Weilchen an Nonnengelübde und Jacuzzi erfreuen konnten. Und hier kommt wieder Tiltes und meine Arbeitsteilung zum Tragen. Tilte gibt’s ihnen mit dem großen Flaschenreiniger, ich streichle sie mit dem Federwisch.
    »Ich habe ihnen geholfen, auf eine Webseite zu kommen«, sagt Leonora.
    »Und welche?«
    Leonora schweigt. Die Situation ist ungewöhnlich. Ich würde nie zögern, Leonora als Freundin der Familie zu bezeichnen. Trotzdem ist sie störrisch. Aber dafür haben wir keine Zeit. Mit Katinka und Lars ist jederzeit zu rechnen, und weder Tilte noch ich lassen uns von ihrer Verliebtheit narren. Sie mag noch so groß sein und womöglich auf echte Liebe und eine Polizistenhochzeit hinauslaufen, von der Erfüllung ihrer dienstlichen Pflicht wird es sie nicht abhalten. Und die besteht darin, Tilte und mich in zeitlich unbegrenzte Verwahrung zurückzuholen und uns wieder die blauen Bänder um die Arme zu schließen. Daher sehen wir uns leider genötigt, die etwas gröberen Instrumente aus dem Werkzeugkasten zu holen.
    »Leonora«, sage ich, »wir sehen in dir eine Freundin der Familie. Das heißt, um dich zu schützen, möchte ich dich vor Tilte warnen. Du kennst nur ihre nette Seite. Die phantasievolle und hilfreiche. Aber als ihr Bruder weiß ich, dass sie auch eine andere Seite hat. Die sichtbar wird, wenn sie zu etwas gedrängt wird. Und das ist jetzt der Fall. Wir müssen unsere Eltern finden. Tilte denkt dabei vor allem an mich. Ich bin ja erst vierzehn, Leonora. Wie soll ein vierzehnjähriger Junge ohne Mutter zu Rande kommen?«
    Leonora schenkt mir einen wilden Blick, und ich glaube, ich weiß, was ihr durch den Kopf geht: nämlich Tilte und mich zu fragen, ob wir in dieser Situation eigentlich einmal den Gedanken gehabt hätten, dass wir mit derart unberechenbaren Eltern eventuell besser beraten wären, ohne sie weiterzuleben.
    Es wäre gelogen zu sagen, diese Überlegung habe michnie gestreift, in diesen Tagen und auch früher schon. Aber gerade jetzt darüber zu diskutieren, wäre vielleicht doch der falsche Moment.
    »Etwas, das Bellerad Shipping heißt«, sagt Leonora.
    »Und was wollten sie auf der Seite?«, frage ich.
    Leonora schweigt.
    »Ich fürchte«, sage ich, »Tilte könnte so weit gedrängt werden, dass sie dich anzeigt, Leonora. Weil du für Mutter und Vater den Hacker gespielt hast. Womöglich könnte sie sogar so tief sinken, dass sie dem Finanzamt vorschlägt, mal einen Blick darauf zu werfen, wie du deine kleine Heimindustrie veranlagst. Und ganz ehrlich, Leonora, ich würde es hassen, wenn ich miterleben müsste, wie dich Beamter Bent hier aus deinem Retreat abholt. Jedes Jahr, wenn die Theologische Hochschule ihre Weinreise in die Klosterküchen der Toskana veranstaltet, trifft mein Vater den Pfarrer vom Staatsgefängnis Grenå. Er hat erzählt, dass in den Gefängnissen so viel Radau ist, dass man nicht einmal sein eigenes Abendgebet hört. Was wird denn dann aus deinen Meditationen, Leonora?«
    »Ich konnte es nicht sehen.«
    Ich streiche ihr geduldig über den Arm.
    »Leonora«, sage ich. »Im Beisein Minderjähriger sollte man nicht lügen!«
    »Es war ein Schriftverkehr. Er lag in einem kodierten Bereich, ich musste zwei Passwörter knacken. Und die Dokumente waren verschlüsselt. Triple DES , komplizierte dreifache Verschlüsselung. Banken verwenden so was. Ich habe zwei Tage gebraucht, um den Logarithmus herauszufinden. Ich musste mir den Server der Finø Bank ausleihen. Er ist der Einzige auf Finø, der ausreichende Kapazitäten hat.«
    Tilte hat am Fenster gestanden und ihr den Rücken zugekehrt. Nun dreht sie sich um.
    »Wovon handelte er?«
    »Es waren mehrere Personen, die miteinander korrespondierten. Sie haben mit ihren Initialen unterschrieben, außer einem. Poul Bellerad. Außerdem war da noch eine Abkürzung. Ich habe den Namen und die Abkürzung nachgeschlagen. Poul Bellerad ist Schiffsreeder, im Biographischen Lexikon gibt es zwei Seiten über ihn. Mit allen Orden, die er im Ausland bekommen hat. Und allen Aufsichtsräten, in denen er Mitglied ist. Und die Abkürzung stand für eine Art Sprengstoff. Vielleicht planen eure Eltern irgendeine neue Anlage im Garten, Finø liegt ja auf Urgestein, eventuell denken sie an einen neuen Brunnen.«
    »Ja«, sage ich. »Durchaus möglich.«
    »Es ging auch um Schusswaffen. Vielleicht hat eure Mutter einen kleinen Job bei der Landesverteidigung angenommen. Hilft ihnen mit ein paar

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