Die Kinder der Elefantenhüter
Aber sie hat alles abgelehnt, nur um sich dem Konzept zu widmen, das sie zusammen mit Tilte entwickelt hat und das sie »sexuell-kulturelles Coaching« nennt.
Sie hat klein angefangen. Zunächst bot sie Telefonsex an und arbeitete als Gärtnerin, um ihr Studium zu finanzieren. Sie hat immer gesagt, man müsse sich spezialisieren, um fachliche Herausforderungen zu bekommen, als Gärtnerin spezialisierte sie sich auf Friedhöfe, irgendwann war sie für die Pflege aller drei Gottesäcker Finøs verantwortlich, und beim Telefonsex konzentrierte sie sich auf die Kunden, die mit reichlich Kultur umgeben sein wollten, um sich richtig gut zu fühlen. An der Stelle fing sie an, Tilte und mich um Rat zu fragen, weil sie nicht wie wir aus einer bildungsnahen Familie stammt. Wenn sie zum Beispiel einen Kunden hatte, der die Sache in seiner Vorstellung gern unter der Brunelleschi-Kuppel ablaufen lassen wollte, zahlte sie Tilte und mir einen symbolischen Betrag, damit wir für sie in der Bücherei oder im Netz herausfanden, an welchem Ende der Welt diese Kuppel überhaupt stand. Dann beschafften wir ihr Bilder und halfen ihr bei der Beschreibung der Örtlichkeit.
Im Zuge der Zusammenarbeit und der Erweiterung ihres Kundenkreises hatte Tilte eine Idee. Es wunderte sie, dass die Männer nie ihre Gattinnen in den Geschichten dabeihaben wollten, die Leonora ihnen am Telefonerzählte. Oft sollten viele Personen mitmachen, Männer und Frauen und Schweine und Kühe und Hühner, es sollte auf der Flüstergalerie des Petersdoms oder in den Uffizien ablaufen, aber immer ohne Ehefrauen. Als wir Leonora nach dem Grund fragten, sagte sie, es sei sonst zu langweilig. Da schlug Tilte vor, Leonora solle die Angetrauten in die Geschichten hineinschmuggeln, in etwa so: »Wir stehen auf dem Markusplatz, und jetzt haue ich dir mit dem Flitzebogen einen über den Steiß und gebe ihn an deine Frau weiter, und die verpasst dir nun acht saftige Schläge auf den nackten Arsch.«
Erst protestierte Leonora ein Weilchen, aber dann ließ sie sich darauf ein, und nach gewissen Anfangsschwierigkeiten wurde es ein Riesenerfolg. Jetzt bereitete Tilte den nächsten Schritt vor.
Sie fragte, wieso die Männer für den Telefonsex nicht ihre eigenen Frauen nähmen, und Leonora vergaß ihr meditatives Gleichgewicht und fing an rumzubrüllen, sie war mitten in ihrem ersten Drei-Jahres-Retreat, ich war dabei, und sie schrie Tilte an, was sie sich eigentlich vorstelle, es würde ihr doch das ganze Geschäft versauen, wenn jetzt die Frauen selber auf den Trichter kämen, wie Telefonsex funktioniert. Aber da sagte Tilte, ohne Leonoras Hilfe kämen die Frauen nie auf den Trichter, sie solle die Männer davon überzeugen, dass die ihre Frauen davon überzeugen, Leonora anzurufen, damit diese sie in die Kunst einweihe, ein geiles Telefongespräch zu führen. Wieder gab es Startschwierigkeiten, und wieder wurde es ein unvergleichlicher Erfolg, würde ich sagen. Jetzt ist uns Leonora ewig dankbar, vor allem Tilte, sie sagt, Tilte habe ihr beim Lösen eines historischen Problems geholfen, und zwar der Frage, wie Mönche und Nonnen in den großen Weltreligionenihren Lebensunterhalt verdienen sollen. In alter Zeit wurden sie von fröhlichen Stiftern bezahlt, oder sie liefen mit der Bettelschale herum, aber auf Finø gibt es augenscheinlich keinen, der dafür aufkommen möchte, dass sich Leonora oder Hilde aus Roskilde ins Drei-Jahres-Retreat verabschieden.
Deshalb leuchten Leonoras Augen jedes Mal auf, wenn sie Tilte und mich sieht, und deshalb muss man den Schatten, der auf unser Beisammensein fällt, als sie ihre Schrift auf dem Zettel erkennt, wirklich ernst nehmen.
»Das ist nicht meine Handschrift«, sagt sie noch einmal.
Wir sagen nichts.
»Wozu wollt ihr das wissen?«
»Vater und Mutter sind verschwunden«, sagt Tilte.
Laut Leonora soll Buddha gesagt haben, wer in der gewöhnlichen Wirklichkeit eingesperrt sei und nicht die Tür gefunden und das Weite gesucht habe, für den sei es einerlei, wie gut es ihm seiner Meinung nach gehe, denn die Scherereien warteten gleich an der nächsten Ecke. Für diese Theorie ist Leonora gerade ein wunderbares Beispiel. Eben war sie noch in Glanzlaune mit Reis und Bohnen und Mantras und Blick aufs Meer der Möglichkeiten, und jetzt erinnert sie an etwas, das die Katze ins Haus geschleppt hat.
Ich setze mich neben sie und streichle ihr den Arm. Menschen, die drei Jahre auf Reis und Bohnen gesetzt sind, sehnen sich wahrscheinlich
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