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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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und da hindurch scheint die Mittelmeersonneund sendet ihren Strahl durch den oberen Teil des Kirchenfensters, und zwar genau auf das Altarbild.
    Der Altar der Finøer Kirche stammt aus vorgeschichtlicher Zeit und ist berühmt wie ein Filmstar, es wurden schon dicke Bücher darüber verfasst, und Wagenladungen von Touristen kommen, um ihn anzustaunen, und was lag näher, als ihm in unserer Touristenbroschüre einen »Altarfalz« zu widmen, vier Seiten, aufklappbar, in Hochglanzoptik.
    Meiner Meinung nach muss der Maler des Bildes ein Vorfahre derer sein, die über Finø vaterländische Lieder verfassten, und zwar die aus der zweiten Gruppe, in denen die Insel wie ein Baby in der blauen Tragetasche des Kattegats dargestellt wird. Das Bild beweist, dass eine totale Macke nicht auf eine einzige Generation beschränkt bleibt. Obwohl der Nachkomme Dichter ist und vollständig den Überblick verloren hat, was oben und unten ist, kann der Vorfahre durchaus ein Maler gewesen sein, dem das Schicksal dermaßen das Gehirn durchgeblasen hat, dass nichts mehr übrig blieb.
    Selbstverständlich zeigt das Bild das Meer mit Fischerbooten; die Wellen sehen aus wie das Slush-Eis im Vergnügungspark Friheden in Århus und die Fischerboote wie Badewannen. Das zentrale Motiv aber ist der Heiland mit einem armen Tropf, dem er gerade die Dämonen ausgetrieben hat, die als Schweine dargestellt werden, die Grizzlybären ähneln, und der Heiland sieht echt nicht aus wie ein Typ, der jetzt mal was von all den tollen Sachen in Angriff nehmen könnte, die er angeblich in nur drei Jahren vollbrachte, nein, er sieht eher aus, als könnte ihn irgendeins dieser Schweine mit einem Happs verschlingen.
    Und dennoch geht etwas in den Kirchgängern vor, alsdie Sonne das Antlitz des Erlösers beleuchtet, sie sind gebannt, das ist nicht zu viel gesagt, und zwar eigentlich nicht wegen der Sonne, sondern wegen des Gesichtsausdrucks meines Vaters, ich möchte es einen vielsagenden Ausdruck nennen, der besagt, was hier geschieht, ist nicht zufällig, sondern in gewisser Weise unter meiner Kontrolle.
    Wir Kinder schauen zu ihm hoch und versuchen, seinen Blick aufzufangen, aber es gelingt uns nicht, er will gerade von der Kanzel steigen, da passiert das Schlimmste. Ein Windstoß drückt die Tür zur Vorhalle auf und gleich darauf auch die Kirchentür.
    Natürlich weil die Türen nicht ordentlich schließen, das war immer so, und auf plötzliche Böen verwenden wir auf Finø nicht unnötig viele Gedanken, nicht bevor der Wind stark genug ist, Strohdächer abzuheben und Imbisswagen ins Hafenbecken zu blasen, und dieser Windstoß jetzt gehört nicht in diese Kategorie. Aber der Zeitpunkt seines Auftritts verleiht ihm eine ganz eigene Klasse, und mein Vater kann der Versuchung nicht widerstehen, sich dieser exakten Planung zu bedienen. Als Beamter Bent und Rettungs-John aufstehen, um die Türen zu schließen, hebt Vater die Hände und sagt: »Halt! Lasst sie offen. Wir haben Besuch.«
    Er sagt nicht, wer zu Besuch ist, das ist auch nicht nötig, denn alle in der Kirche wissen, es ist der Heilige Geist, und das Publikum ist geliefert.
    Als wir nach dem Gottesdienst durch die Vorhalle gehen, wo Vater die Leute verabschiedet, können wir alle drei erkennen, dass sein Gesicht einen nie gesehenen Ausdruck hat, wir wissen, woher er stammt, er kopiert den Heiland auf dem Altarbild.
    Als wir an Vater vorübergehen, bleibt Tilte stehen.
    »Das war Zufall«, sagt sie.
    Vater lächelt sie an. Auf die Umstehenden wirkt das Lächeln vielleicht barmherzig, auf uns wirkt es beschränkt.
    »Die Vorsehung bedient sich des Zufalls«, sagt Vater.
    Wir sehen ihn an. Wir sehen es alle drei. Sein innerer Elefant schwillt langsam an wie ein Heliumballon.
    »Vater«, sagt Tilte. »Du bist ein widerlicher Bauernfänger!«
    Leider ist dies für lange Zeit das letzte Mal, dass ein denkender Mensch Vater erreicht, aber tatsächlich erreicht Tilte ihn gar nicht, denn sein Lächeln wird nur noch breiter und verzeihender.
    »Schatz«, sagt er zu Tilte, »du weißt nicht, was du sagst.«

 
    Ich möchte dich um Verständnis bitten, wenn wir jetzt kurz zu Bermuda Svartbag Janssons Mondfahrzeug zurückkehren, das sie nämlich plötzlich an den Straßenrand lenkt, sie schaltet Motor und Scheinwerfer aus, und dann ist es pechschwarz um uns herum, das kann ich dir sagen.
    Finø ist eine der letzten Gegenden in Dänemark, wo es wirklich dunkel werden kann. Finø-Stadt liegt weit hinter uns, Nordhavn vor

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