Die Kinder der Elefantenhüter
erkennen, dass sie nie richtig erfüllt wurde.
Selbstredend lassen wir Vater und Mutter an dem Abend in Ruhe, wir sind doch keine Lustmörder. Aber wir haben etwas gesehen, das wir nicht vergessen können. Wir haben ihre inneren Elefanten in voller Größe gesehen.
Wahrscheinlich haben Mutter und Vater diese Elefanten immer in sich gehabt, vielleicht sind sie mit ihnen geboren. Aber bis zu diesem Abend in der Küche lag eine Art Deckel darauf. Und Vaters und Tiltes kleiner Meinungsaustausch hat den Deckel aufspringen lassen. Was wir und die Welt also in den folgenden Wochen und Monaten erleben, ist das Schlüpfen der Elefanten aus ihren Puppen, sie schlagen mit den Flügeln und fangen an zu flattern, falls du das Bild verstehst, das vielleicht nicht gerade dem Biologiebuch entspricht, aber einigermaßen deutlich macht, was da tatsächlich geschieht.
Weil nun aber dieser Teil meiner Vergangenheit schmerzlich ist und mit saftigen und peinlichen Details nur so gespickt, möchte ich ihn gerne noch etwas ruhen lassen und zum Hier und Jetzt zurückkehren, in dem Tilte und ich den Pfarrhof verlassen haben, um Leonora Ganefryd aufzusuchen.
Leonora Ganefryd sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, und obwohl sie vermutlich am Horizont schon das Altersheim von Finø erahnt – sie ist mindestens fünfzig –, muss selbst ich, der für seine Zurückhaltung in puncto Kommentare über Frauen bekannt ist, zugeben, sie ist ein Fest fürs Auge. Einerseits wegen der Uniform, sie trägt eine rote tibetanische Nonnentracht, andererseits weil sie so schön braun und kahlköpfig ist und wie Sigourney Weaver in Alien 3 aussieht. Sie telefoniert gerade und winkt uns heran. Tilte und ich setzen uns, während sie ihr Gespräch weiterführt.
»Du gehst durch das Löwentor in der Alhambra«, sagt Leonora ins Telefon. »Und bist splitternackt. Und du hast einen richtig frechen, hellroten Hintern.«
Der Hörer liegt auf dem Tisch und ist auf laut gestellt. So können wir hören, dass die Dame am andern Ende eine rauhe und wütende Stimme hat.
»Ich habe keinen frechen Hintern. Ich habe einen Arsch, so groß wie ein Reserverad!«
»Es kommt nicht auf die Größe an«, sagt Leonora. »Sondern auf den Ausdruck. Ich habe Kundinnen, die haben Hinterteile wie Treckerreifen. Und trotzdem verfallen ihnen die Männer hordenweise. Wenn man dazu steht, sind Treckerreifen tödliche Waffen.«
Wir sitzen in einem Gebäude, das aussieht, als wäre es im mittelalterlichen Tibet errichtet worden, dabei wurdees vor knapp einem Jahr entworfen und erbaut. Allein der Bau hat fünf Millionen Kronen gekostet, er hat Jacuzzi und eine finnische Sauna und liegt auf der Spitze der höchsten Düne bei Østerbjerg, mit unverstellter Aussicht auf das Meer der Möglichkeiten. Dieses bescheidene Bauwerk ist Leonoras privates Kloster, und Leonora ist, neben vielem anderen, die führende Retreat-Nonne von Finøs buddhistischer Gemeinde, die gerade ihr elftes Mitglied begrüßen durfte; im Augenblick befindet sich Leonora im Drei-Jahres-Retreat. Das heißt, sie hat ein Gelübde abgelegt: Sie muss drei Jahre lang in ihrer Hütte sitzen, sich von Reis und Gemüse ernähren und meditieren und darf Østerbjerg nicht verlassen und keinen Menschen sehen.
Tilte, Basker und ich sind in Thorlacius-Drøberts Mercedes zu ihr gefahren, manche halten das vielleicht für Autodiebstahl, wir nicht. Wir finden, wir haben uns das Auto nur geborgt, denn Thorkild kann es jetzt sowieso nicht benutzen, er sitzt im neuen Arresthaus, außerdem bekommt es einem Auto gar nicht gut, wenn es zu lange steht und nicht bewegt wird.
Tilte legt Leonora den abgerissenen Zettel vor und zeigt auf die Notiz.
»Das hier ist deine Schrift, Leonora.«
Leonoras Miene verdunkelt sich, auf ihre arglose Freude, uns zu sehen, fällt ein Schatten.
»Das war ich nicht«, sagt sie. »Das ist nicht meine Schrift.«
Leonora Ganefryd ist IT-Expertin, im Pfarrhof haben wir derart viele Rechner und MP3-Spieler und Anlagen und Mobiltelefone rumstehen, dass wir mit dem permanenten elektronischen Zusammenbruch leben, was wir nur überstehen,weil Leonora eine Freundin der Familie und unsere Computerheilerin ist. Sie hat praktisch für alle auf Finø die Programmierungsarbeit erledigt, und als sie für die Anlageberatung der Finø Bank, die auch auf Læsø, Anholt und Samsø operiert, Risikoeinschätzungsprogramme entwickelte, wurde der Rest des Landes auf sie aufmerksam, man setzte sogar Headhunter auf sie an.
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