Die Kinder der Elefantenhüter
still, daher weiß ich, was Grabesstille ist, und kann sie hier und jetzt in Bermudas Raupenfahrzeug gut identifizieren.
Nun ergreift Tilte das Wort.
»Peter ist erst vierzehn«, sagt sie, »aber er hat schon Erfahrungen mit Drogenmissbrauch und Vernachlässigung hinter sich. Er hat eine zarte Persönlichkeit, die bei einem harten Wort einen Knacks bekommt. Und die Stimmung hier bedrückt ihn außerordentlich. Er und ich möchten euch also fragen, ob ihr euch nicht wenigstens begrüßen möchtet, dann ist die Chance größer, dass Peter unterwegs keine Psychose kriegt, genauso wie die Hoffnung, dass wir lebend ankommen.«
Die anderen haben sich noch nicht wieder berappelt, aber zumindest schauen sie sich an und murmeln etwas, das mit einem ordentlichen elektrischen Verstärker und gutem Willen als braves guten Tag gedeutet werden kann.
Natürlich ist das noch kein Ausdruck einer spontanen und von Herzen kommenden Freundlichkeit, sondern eher dafür, dass sie vor Tilte dermaßen Angst haben, dass sie sich fast in die Hosen machen. Aber es ist immerhin ein erster Schritt.
Tilte hat sich angestrengt und sozusagen die Ware geliefert, also lasse ich sie nun ins Mittelfeld zurückfallen und übernehme selber.
»Noch etwas«, sage ich. »Unser Vater und unsere Mutter sind wie vom Erdboden verschwunden und werden gesucht. Wir möchten sie gerne finden, bevor es der Polizei gelingt. Wir müssen mit der Weißen Dame nach Kopenhagen kommen und brauchen eure Unterstützung. Ihr kennt Kalle Kloak. Keiner, der ihn auch nur fünf Kronen kosten könnte, wird eingelassen, bevor nicht seine rechtmäßige Aufgabe und Identität drei Generationen zurück kontrolliert wurde. Gäbe es eine Möglichkeit, dass wir uns als eure Begleiter ausgeben?«
Die Gesichter vor mir sind verschlossen.
»Wenn nach euren Eltern gefahndet wird«, sagt Svend-Helge, »und ihr seid geflüchtet, dann würden wir ja eine Straftat begehen.«
Es wird still im Wagen, das einzige Geräusch kommt von den Wellen, die an die Küste schlagen. Dann meldet sich Sindbad zu Wort.
»Ich bin schon mal auf euch aufmerksam geworden«, sagt er, »als wir die Schatzinsel aufführten und meine Frau eine Natter in ihrer Perücke fand. Und vor vierhundert Zuschauern auf der Bühne stehen musste. Ich kann mich auch daran erinnern, wie du dich als Mr. Finø beworben hast, Peter. Und ich habe an dich gedacht, als die Vereinigten dänischen Versicherungsgesellschaften zwei Privatdetektiveund einen Sachverständigen schickten, weil so viele Scheiben eingeworfen und in den Gärten so viel Trockenfisch gestohlen wurde.«
Es ist wieder still. Ich unterbreche die Stille. Nicht um ihre Hilfe zu erbitten, das habe ich aufgegeben. Aber um etwas zu erklären.
»Wir tun es ja nicht für uns. Wir Kinder werden uns schon durchboxen. Es geht um unsre Eltern, um die steht’s schlimm.«
Ich suche nach Worten, um Mutter und Vater zu beschreiben. Sind sie verloren oder wie Kinder, oder haben sie sich verirrt, oder sind sie auf dem rechten Kurs, aber auf verkehrte Weise? Ich finde nicht die richtigen Worte.
»Es geht hier nicht in erster Linie darum, dass sie zurückkommen und sich um uns kümmern sollen. Tilte und ich schaffen das schon, wir sind tief inspiriert von den Bettelmönchen und Barfuß-Karmeliterinnen, wir leihen uns ein oranges Gewand von Leonora und ziehen mit der Bettelschale über Finøs Landstraßen.«
Ob ich voll zu dieser Erklärung stehen und bezüglich der Bettelschale auf Tilte und Basker zählen kann, weiß ich nicht gewiss. Aber manchmal muss man aufs Tor vorrücken, auch wenn noch keine Mitspieler in Sicht sind.
»Die Sache ist die«, sage ich, »und das wird euch vielleicht erstaunen, ihr kennt ja Mutter und Vater, die Sache ist die, dass wir sie trotzdem gern haben. Es ist Liebe.«
Auf den Gesichtern vor mir geschieht etwas. Mitgefühl ist ein gewaltiges Wort, besonders in einer Versammlung wie dieser hier. Aber dass ich hier jemanden erweicht habe, ist nicht zu viel gesagt.
»Es gibt eine Koranstelle«, sagt Sindbad. »In der steht, dass die kleinen Teufel oft die schlimmsten sind. Aber auch diejenigen, welche die größte Barmherzigkeit nötig haben.«
Nun, da die Stimmung zumindest vage von Verständnis für Tiltes und Baskers und meine Lage durchtränkt ist und da sich Bermudas Leichenwagen weiter durch die schicksalsschwangere Finøer Nacht pflügt, wie ich sie in der Touristenbroschüre nannte, möchte ich den Bericht über die Ereignisse rund um
Weitere Kostenlose Bücher