Die Kinder der Elefantenhüter
das Verschwinden meiner Eltern abschließen.
In den ersten Monaten gehen meine Eltern mit einer gewissen Vorsicht vor. Es kann eine Windböe genau an der richtigen Stelle im Gottesdienst sein, wenn Vater zum Beispiel von den Engeln erzählt, die irgendwo in der Offenbarung des Johannes in die Posaunen blasen wollen, obwohl sich vor der Kirche kein Lüftchen regt. Oder es können ein paar Orgelpfeifen sein, die in dem Moment anfangen zu murmeln, in dem Vater liest: »Was ihr höret in das Ohr, das predigt auf den Dächern«, obwohl Mutter nicht hinter der Orgel, sondern unten in der Kirche sitzt. Oder es kann eine Beerdigung sein, wenn Vater die Beisetzung mit den Worten abschließt »aus Erde sollst du wiederauferstehen«, und es steigt dann ein wenig weißer Dampf aus dem Grab, nur ein klein wenig, fast wie feiner Rauch, er ist so schnell verschwunden, wie er gekommen ist, und doch stürzt er die Hinterbliebenen in Verwirrung. Und keiner schöpft Verdacht. Das alles ist so elegant gemacht, es gibt keine Verbindungen, und man merkt, dass Mutter mit dem Abrichthobel da war.
Im Mai, als die Kirche in Finø-Stadt ein neues Dach bekommt, können wir sie beinahe auf frischer Tat ertappen. Die Bleidecker kommen mit einem kleinen Trupp und gießen die Bleiplatten vor der Kirche, sie haben eine Art Tablett mit Sand, das sie schräg halten, und gießen flüssiges Blei darüber, es erstarrt auf der Stelle. Während sie arbeiten, sehen wir Mutter bei einer Gelegenheit mit ihnen sprechen, und als sie uns bemerkt, wirft sie uns einen Blick zu, dem die bedingungslose Liebe, mit der eine Mutter ihre Kinder stets betrachten sollte, völlig abgeht, und obwohl wir ihr den Rücken zukehren und unschuldig tun, haben wir gesehen, dass sie den Bleideckern etwas gegeben hat, dessen Anwendung sie ihnen nun erklärt. Als dann zwei Sonntage später Vater auf der Kanzel wieder mit der Offenbarung des Johannes zugange ist und diesmal irgendeine Stadt einstürzt und im selben Augenblick mit großem Radau eine Bleiplatte vom Dach donnert, was sich eine Minute später wiederholt, entschließen sich Tilte, Hans und ich, auf unbestimmte Zeit nicht mehr mit unseren Eltern zu sprechen.
Leider zeigt das keinerlei Wirkung, Mutter und Vater merken es gar nicht. Anfang Mai ist die Kirche sonntags gut gefüllt, was fürs erste nicht alarmierend ist, mein Vater und meine Mutter haben gemeinsam immer Zuhörer anlocken können. Aber Ende Mai stehen die Leute Schlange bis hinaus auf den Friedhof, sie kommen von Anholt und Læsø in den Gottesdienst geströmt, später sogar aus Grenå.
Die Leute vom Festland haben immer gerne auf Finø geheiratet, besonders die Kopenhagener. Vielleicht hat es damit zu tun, dass es nicht so einfach ist, auf dem Blågårds Plads oder in Virum zu stehen und sich ewige Liebe zu schwören, wenn alles um einen herum als Beweis dient,dass man schon mehr als Schwein haben muss, wenn die Sachen, die die Leute einander schwören, bis nächsten Mittwoch halten. Das ist auf Finø schon einfacher, wo man von Fachwerkhäusern aus dem 18. Jahrhundert und dem mittelalterlichen Kloster Finø und Horden von Storchenpaaren umgeben ist und wo man in der Touristenbroschüre nachlesen kann, dass Finøs Urnatur daliegt wie eh und je, mit Maulbeerbäumen und Eisbären und Hans in Volkstracht und Dorada Rasmussens buntscheckigem Papagei. Der Gemeinderat führt schon seit Jahren eine Warteliste, um nicht vier Hochzeiten pro Woche zu haben. Aber nun beginnt die Warteliste gefährlich anzuschwellen, und aus dem ganzen Land kommen Anträge, auch von kommenden oder frischgebackenen Eltern, die ihre Kinder in der Kirche taufen lassen wollen, und von Angehörigen Verstorbener, die sich erkundigen, ob der Tote nicht auf Finø beerdigt werden könne, selbst wenn der Mann zu Lebzeiten nie einen Fuß auf die Insel gesetzt hat. Von einer älteren Dame kam ein formvollendeter Brief, den wir Kinder lesen, weil wir zu der Zeit so unruhig geworden sind, dass wir uns ab und zu erlauben, Vaters und Mutters Post zu öffnen. Die Dame fragt, ob sie auf Finø eingeäschert und ihre Asche anschließend zu Meisenkugeln verarbeitet werden könne, die von Vater gesegnet und dann an die Finø-Papageien verfüttert werden sollten, von denen es auf der Insel angeblich nur so wimmele. Sie wolle sichergehen, auf dieser naturschönen Insel ausgekackt zu werden, wo, wie ihr zu Ohren gekommen sei, der Heilige Geist seinen Wohnsitz genommen habe.
Dieses Schreiben hätte den meisten
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