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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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zum Wasser hat, dass man sich nicht in Dänemark wähnt. Auf gewisse Weise sind wir das auch nicht, wir sind auf Finø.
    Ich weiß nicht, ob du schon einmal mit den Oberhäuptern verschiedener Religionen in einem Auto gesessen hast, wahrscheinlich nicht, denn normalerweise werden sostrahlende Persönlichkeiten alles tun, um sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen, und ich kann dir sagen, es ist keine Erfahrung, wegen der man gern eine Postkarte schriebe. Sindbad und Gitte Grisanthemum und Svend-Helge und ihr Gefolge haben bis jetzt noch kein Wort miteinander gewechselt, jeder tut so, als gäbe es den anderen gar nicht, was der Atmosphäre in Bermudas Wagen nicht gerade zuträglich ist.
    Bis Tilte dann eine Idee hat, die die düstere Stimmung aufhellen kann. Dort, wo die Straße ganz außen am Rand des Abhangs verläuft und es rechterhand fünfzig Meter lotrecht hinuntergeht und wo wir die Wellen, die an den Strand schlagen, tief unter uns sehen, dort greift Tilte von hinten ins Steuerrad und dreht es nach rechts, so dass der Leichenwagen auf die Leitplanke und den leeren Raum dahinter zufährt.
    Die Leitplanke ist ein Witz, so niedrig ist sie, wir streifen sie schon, als Tilte das Steuer herumreißt und das Auto wieder auf die Fahrbahn lenkt.
    In Tiltes und meinen vergleichenden religionswissenschaftlichen Studien in der Stadtbücherei und im Netz konnten wir uns an den großen spirituellen Persönlichkeiten ergötzen, die sich immer darüber einig waren, dass das Bewusstsein, sterben zu müssen, in einem tieferen Sinn echt förderlich für die Lebensfreude und den Optimismus sein musste.
    In diesem Augenblick besteht daran jedenfalls kein Zweifel, denn nach Tiltes kleinem Einfall hat sich die Stimmung radikal geändert.
    Bermuda hält am Straßenrand an und stellt den Motor aus, die Gesichter im Auto sind so weiß, dass sie im Dunkeln leuchten.
    Kennst du das Wort »Grabesstille«? Tilte und ich kennen das Phänomen recht gut. Tilte hatte nämlich mal von Bermuda Svartbag Jansson einen Sarg geborgt, Bermuda bekommt sie von der Anholter Sargfabrik, die zwölf verschiedene Modelle anbietet, alle pulverlackiert und mit sehr schöner Politur. Tilte hatte ein weißes Modell geliehen, Hans und ich halfen ihr tragen, der Sarg sollte in ihr Zimmer hoch, er war ziemlich schwer. Wir stellten ihn in ihren begehbaren Schrank im hintersten Teil ihres Zimmers, wo die von Mutter gebauten Kleiderständer stehen. Tiltes Plan war folgender: Wenn Freundinnen zu Besuch waren und sie hatten Klamotten anprobiert und Gesichtsmasken aufgelegt und auf Tiltes Balkon Tee getrunken und eine Folge von Sex and the City gesehen, lud sie sie ein, in den hinteren Teil ihres Zimmers zu kommen und sich in den Sarg zu legen, um zu sehen, wie sich das Totsein anfühlte; dafür klappte sie den Deckel zu.
    Tilte war mit ihrem Projekt ausgesprochen zufrieden, sie sagte, sie bekomme einen tieferen Kontakt zu ihren Freundinnen. Mit dem »tieferen Kontakt« meint Tilte alles, was danach geschah – nachdem ihre Freundinnen im Sarg gelegen und der Grabesstille gelauscht hatten und sie sie später nach Hause begleitet und mit ihnen darüber gesprochen hatte, dass sie trotz ihres zarten Alters von vierzehn oder fünfzehn, in einem größeren Zusammenhang gesehen, bald tot sein würden – nach einer solchen Erfahrung komme, wenn sie sie am Gartentor abliefere, oft ein tieferer Kontakt zustande, sagte Tilte.
    Leider wurde Tilte nach kurzer Zeit genötigt, den Sarg wieder abzugeben, weil nämlich viele ihrer Freundinnen, auch Freunde, nach einem solchen tieferen Kontakt wochenlang im Bett der Eltern schlafen wollten und tagelangnicht in die Schule gingen, worauf ihre Eltern mit unserem Vater und unserer Mutter sprachen und Vater eines dieser Gespräche mit Tilte führen musste, nach denen er immer die großen Schweißflecke unter den Armen hat und eine Miene, als hätte er im Sarg liegen müssen, überdies ereignete sich eine letzte und entscheidende Episode mit Kaj Molester, auf die ich noch zurückkomme, und danach musste Tilte den Sarg zurückgeben.
    Aber vorher hatten Hans und ich ihn noch ausprobiert, Hans’ Beine guckten heraus, aber bei mir ging der Deckel zu, und ich lag im Finstern und folgte Tiltes Instruktionen. Sie hatte mir erklärt, ich solle mir vorstellen, tot zu sein und von den Würmern verzehrt zu werden, und sie hatte gelesen, dass die Würmer korrekt Speckkäfer hießen, und beschrieben, wie sie aussahen. Ich sage dir, in dem Sarg war es

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