Die Kinder der Elefantenhüter
möchten wir gerne wissen, was geschieht, wenn wir sterben, und ob wir irgendwo waren, bevor wir geboren wurden. Kurzum, bei diesem Etwas in uns allen, bei dem darf nicht gepfuscht werden.«
So einer Tirade etwas entgegenzusetzen ist schwer. Deshalb bleiben wir sitzen und schweigen, obwohl wir nicht unbedingt einer Meinung sind. Das ist das Interessante an uns Geschwistern: Wir können so uneinig sein, dass Totschlag droht, aber gleichzeitig verlieren wir trotz allem nicht die gegenseitige Achtung und Wertschätzung, und das meine ich ganz ernst.
Schließlich sagt Tilte noch etwas.
»Sie graben ihr eigenes Grab«, sagt sie. »Und zwar nicht mit einer Handschaufel. Sondern mit einem Löffelbagger.«
Es ist das letzte Wort in dieser Runde.
Wir sind auf den beachtlichen Landsitz gefahren, der Finøs größte Anwaltskanzlei beherbergt und gleichzeitig die Heimstatt der buddhistischen Sangha auf Finø ist. Hier steigt der Lama Svend-Helge zu, der einem Schwergewichtsboxer gleicht – was er tatsächlich war, bevor er Jura studierte und nach Tibet ging und Lama wurde. Wie schon gesagt, ist er ein Freund der Familie und Mutters und Vaters Anwalt, trotzdem begrüßt er uns nicht, es ist klar warum, es ist Bermudas Anwesenheit, die ihn bedrückt. Den Grund wirst du gleich verstehen.
Wir nähern uns jetzt besiedelten Gegenden, und als wir nach Finønæs einschwenken, kann man am Horizont die Lichter von Nordhavn erahnen, wir halten vor dem Hof Gyllegård, der jetzt also Finø Puri Aschram heißt. Aus ihm treten Gitte Grisanthemum und zwei ihrer Schülerinnen, alle drei in Weiß.
Gitte nickt Tilte und mir zu, aber nicht dem Lama Svend-Helge, dann setzen sich die drei ins Auto, und wir fahren im Dunkel der Nacht durch die Vororte und nach Nordhavn hinein und halten vor dem Bulleblufhus, einem Häuserblock im Zentrum, wo die Moschee liegt, und aus der kommt der Großmufti Sindbad al-Blablab.
Sindbad ist eigentlich gar kein Großmufti, er ist bloß Imam. Aber er hat einen Vollbart und einen Blick, der ihm den Castingsieg für Long John Silver in der Aufführung der Schatzinsel des Finøer Amateurtheaters sicherte. Er nahmdie Rolle an, seitdem hat er bei den Leuten auf Finø einen Stein im Brett.
Es hat seine Beliebtheit noch vergrößert, dass er Ingeborg Blåballe vom Blåballegård heiratete, die zum Islam übertrat und die Burka anlegte und ihre Freundin Anne Sofie Mikkelsen überredete, das gleiche zu tun. Darin sehen alle einen Fortschritt für Finø. Ich persönlich halte die Burka für ein durchaus kleidsames Gewand, ich sähe gern noch mehr Menschen darin herumlaufen, zum Beispiel Kaj Molester Lander, und in seinem Fall brauchte die Burka auch keine Öffnung für die Augen zu haben.
Obwohl Sindbad eher der joviale Typ ist, durchfährt es ihn, als er Svend-Helge und Gitte Grisanthemum sieht, er würdigt sie keines Blicks, auch Tilte und mich nicht, und das obwohl Bermuda und wir uns mit seinen Rollkoffern abrackern, es sind so viele, dass wir sie um den Sarg herumstapeln müssen, wir gehen davon aus, dass das für Vibe aus Ribe in Ordnung geht, zu Lebzeiten hätte sie sich damit zwar nicht abgefunden, aber den gegenwärtigen Umständen entsprechend erwarten wir aus der Richtung keine Proteste.
Tilte und ich kennen eine spirituelle Übung, die wir bei unseren Studien des Advaita-Vedanta in der Stadtbücherei fanden: Advaita-Vedanta ist der höchste Abschnitt des Hinduismus, sein A-Team und seine Antwort auf die All Stars des Finø Boldklubs, wenn du verstehst, was ich meine. In der Übung stellt man sich selbst die Frage, wer man eigentlich ist. Wenn ich dann von mir selbst eine Antwort erhalte, zum Beispiel dass ich Peter Finø bin, eins fünfundfünfzig groß, siebenundvierzig Kilo schwer, Fußballstiefelgröße neununddreißig, dann schaue ich mir diese Antwort an und frage mich, ob sie mein innerstes Wesenenthält. Wenn nicht, frage ich tiefer, nun nicht mehr mit Worten, sondern mit einem Horchen und ohne Erwartung darauf, was man antreffen wird, wenn man bis ins Innerste vorgedrungen ist, aber auf das Schlimmste gefasst.
Wenn wir zusammenarbeiten, spielen Tilte und ich das Spiel oft, es ist eine stillschweigende Übereinkunft, niemand sieht es uns an. Auch jetzt nicht. Während wir ungerührt Sindbads Rollkoffer stapeln, fragen wir uns, wer da eigentlich stapelt, und als wir fertig sind, machen wir eine Pause, das ist ein Teil der Übung und sollte von Ramana Maharschi dringend empfohlen werden, der nach
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