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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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Menschen die Augen geöffnet. Mittlerweile spricht man nämlich nicht mehr nur zu den normal Naiven und Gutgläubigen, sondernnimmt allmählich Kontakt zu den echten Spinnern auf, aber Mutter und Vater achten gar nicht darauf, sie leben zu dieser Zeit in einem recht schmalen Ausschnitt der Wirklichkeit.
    Anfang Juni werden sie vom Festland aus angerufen. Die Anrufer sind in erster Linie freikirchliche Gemeinden, die immer auf der Suche nach Pfarrern sind, die in Zungen reden, die Feuerprobe bestehen oder auf dem Wasser gehen oder sonst eine Extremfähigkeit besitzen, an der es den Vertretern der Volkskirche mangelt. Bald melden sich aber auch größere Unternehmen, die etwas über Christentum und Ethik und Geld erfahren wollen, gern mit einer Kombination aus Vortrag und einem Gottesdienst, wie ihn Vater auf seiner Insel zu halten pflegt. Im Juli gehen Mutter und Vater auf ihre erste Tournee, und um ein Bild zu gebrauchen, könnte man sagen, wenn sie bislang am Uferrand wateten, dann bereiten sie sich jetzt darauf vor, sich in voller Kleidung in die Fluten zu stürzen.
    Keiner innerhalb und außerhalb des Gemeinderats ist unmittelbar der Meinung, der Heilige Geist sei in Vater und Mutter und die Kirche in Finø-Stadt gefahren. Aber es liegt in der Luft. Deshalb wird problemlos etwas Extraordinäres und Unerhörtes arrangiert: Man holt einen Pfarrer-Stellvertreter aus Århus und einen Organisten aus Viborg, und Urgroßmutter kommt und kümmert sich um uns, während Vater und Mutter mitten in der Sommersaison auf eine Vierwochen-Tournee gehen.
    Es gibt nicht nur keine Probleme, im Gegenteil, Licht und gehobene Stimmung liegen über den kirchlichen Kreisen auf Finø, denn man stelle sich vor: Wieder einmal und auf innovative Weise bestätigt die Insel ihren selbstverständlichen Platz auf der Weltkarte.
    Vater und Mutter sind natürlich in der gleichen Stimmung, während sie den neuen Kombi packen, der Kauf ist das erste, aber nicht das letzte Zeichen, dass sich die ganze Sache leider auch um Geld dreht, und dann haben die beiden winke, winke gemacht, die Fähre hat abgelegt, und weg sind sie.
    Auf uns drei Kinder und Basker und Urgroßmutter hat die helle, leichte Stimmung auf der Insel nicht übergegriffen, im Gegenteil, wir schleppen uns mit düsteren und unheilverkündenden Vorahnungen herum.
    Vorahnungen, die mit den Wochen und den Gerüchten und vereinzelten Zeitungsartikeln, die uns auf Finø erreichen, schwerer werden. Es wird berichtet, dass das Publikum und die freikirchlichen Gemeinden und die großen Unternehmen wegen der ganz besonderen Stimmung bei Vaters Predigten umfallen wie Billardkegel, den Gerüchten zufolge könne man geradezu spüren, wie sich das Göttliche in den Sakramenten einfinde, es komme in Form einer Vibration. Als wir das lesen, sehen wir uns an.
    Zwar wurde die Tür zu Mutters und Vaters Arbeitszimmern den ganzen letzten Monat geschlossen gehalten, trotzdem konnten wir einen Schimmer des Reisealtars erkennen, den Mutter gezimmert hatte, und wir erinnern uns an das Podest, das sie vor einigen Jahren gebaut hatte, darauf konnte man sich stellen, wenn man auf dem Egelsee Schlittschuh gelaufen war, die Platte vibrierte, und das Beben ging einem durch und durch und war sehr angenehm. Wir freuten uns darüber, da wir natürlich nicht ahnten, dass die Konstruktion ein Baustein einer künftigen Schwindelnummer sein würde.
    Mindestens einmal pro Woche schicken Mutter und Vater einen Brief, der das Thema »Es läuft unvorstellbar gut«variiert und dem ein Scheck beigelegt ist mit der Aufforderung, in Svumpukkels Feinschmeckerrestaurant ein Sechs-Gänge-Menü zu verzehren, und jedes Mal lesen wir die Karte und legen den Scheck zum Haushaltsgeld, und Tilte ist die Einzige, die etwas sagt, aber nur einmal, da haut sie mit der Faust auf den Scheck und zischt: »Blutgeld!«
    Als Mutter und Vater wieder nach Hause kommen, trällern sie vor Glück und werfen mit Geschenken um sich, die wir nicht annehmen, Fußballschuhe und echtes Haar für Extensions und eine Kamera, die auf das Spiegelteleskop montiert werden kann. Zwei Wochen später sind sie wieder auf Achse, dem Pfarrer-Stellvertreter wird der Vertrag verlängert, und Urgroßmutter ist auch wieder da.
    Diesmal fahren sie nicht im Kombi. Sie fahren in einem Neun-Personen-Bus, dessen Scheiben mit einem schwarzen Film beklebt sind und den sie im Schutze der Dunkelheit packen. Mutter hatte sieben Tage hintereinander bei geschlossenen Werkstatttüren

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