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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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Weilchen dauern, bis eure Eltern zurückkommen«, sagt sie. »Wir haben euch für ein paar Wochen einen Platz im Kinderheim Grenå reserviert.«
    Tilte und ich stehen auf dem Standpunkt, wenn man sich aus einer Situation nur schwer oder unmöglich herausreden kann, dann braucht man ein bisschen gutes Karma.
    Das kommt überraschenderweise in Gestalt der Urgroßmutter, die urplötzlich in der Tür steht. Sie wendet sich an Bodil mit einem Ton, den ich nie zuvor von ihr gehört habe, sanft und schmeichlerisch, man könnte sich eine Nonne vorstellen, die sich während des Hochamts flüsternd an die Äbtissin wendet, um sich einen Fünfziger zu borgen, eine Demut, von der Bodil sich täuschen lässt.
    »Was verschafft uns die Ehre?«, säuselt Urgroßmutter.
    »Wir sind in einer Notlage«, sagt Bodil. »Die Eltern der Kinder befinden sich in Untersuchungshaft. Bis zur Klärung der Sache haben wir für sie einen Platz in einem Heim in Grenå. Ab heute Abend.«
    »Bei mir hätten sie es besser«, sagt Urgroßmutter.
    »Wir haben mit der Schulleitung gesprochen«, sagt Bodil. »Sie ist der Meinung, die Kinder brauchen einen festen Rahmen. Und medizinische Versorgung.«
    »Was mir Sorgen macht«, sagt Urgroßmutter, »sind die Medien.«
    Das ist nun ein Dreh, der auch uns verblüfft. Wir wussten gar nicht, dass Urgroßmutter die Existenz der Medienüberhaupt bekannt ist. Sie sieht nicht fern, sie liest keine Zeitung, sie hat nie auf unsere PCs und Handys geguckt, als hätte man die Informationen in ihrer Kindheit auf Runensteinen und grob behauenen Steintafeln ausgetauscht und als könnte man ihretwegen wunderbar daran festhalten.
    »Stellt euch vor, das kommt dem Finø Folkeblad zu Ohren«, sagt Urgroßmutter. »Dass Minderjährige einer Zwangseinweisung unterworfen und zusammen mit dem Abschaum der Gesellschaft untergebracht werden.«
    Man kann sich schwer vorstellen, dass Urgroßmutter wirklich zur Zeitung gehen würde. Aber es kristallisiert sich allmählich heraus, dass sie in dieser Lage nicht den schmalen Pfad der Wahrheit einschlägt, von dem Vater im Konfirmandenunterricht erzählt, sondern eher die Autobahn, die man benötigt, um schnell seine Panzertruppen in Stellung zu bringen.
    Auch Anaflabia und Thorkild Thorlacius und Bodil gewinnen offenkundig diesen Eindruck, erst haben sie Urgroßmutter wie ein Bild in der Touristenbroschüre angestarrt, bunt und exotisch, aber jetzt ändert sich ihre Miene.
    »Selbstverständlich würde keiner aus dieser Familie etwas den Zeitungen erzählen«, sagt Urgroßmutter. »Aber ich bin neunzig. Sie wissen vielleicht, dass viele in meinem Alter Schwierigkeiten mit dem Wasserhalten haben. Für mich persönlich gilt das nicht. Ich habe den Strahl immer durchschneiden können.«
    Urgroßmutter schneidet mit den Händen in die Luft, als schnitte sie eine Hecke.
    »Wie mit dem Messer geschnitten. Können Sie mir folgen?«
    Sie fixiert Anaflabia Borderrud, die langsam weiß um die Nase wird.
    »Aber die Wörter«, sagt Urgroßmutter. »Die laufen mir nur so raus. Vielleicht ein früher Alzheimer, es gibt halbe Tage, an denen ich mich nicht mehr daran erinnern kann, was ich wem gesagt habe. Stellen Sie sich vor, ich fange an, mich zu verplappern. Über Zwangseinweisung und die Wunder in der Kirche. Und ein Journalist vom Finø Folkeblad ist in der Nähe.«
    Damit hat unser gutes Karma die Situation gedreht. Thorkild Thorlacius und Bodil und Anaflabia ziehen sich rasch zurück, und Urgroßmutter begleitet sie an die Tür mit einer Flut detaillierter Ratschläge bezüglich der herausragenden Wirkung von Beckenbodenübungen bei häufiger Wiederholung, die zu dem erfolgreichen Höhepunkt führen, an dem man jederzeit den Strahl durchschneiden kann. Wie mit einem Rasiermesser.
     
    Es ist Beamter Bent, der uns in den folgenden Tagen über die Einzelheiten aufklärt. Und zwar haben Mutter und Vater in der Vereinigung dänischer Investitionsgesellschaften einen kirchlichen Akt durchgeführt, und bei der Gelegenheit wollten sie ein Wunder vollbringen. Sie wollten Banknoten verbrennen, die daraufhin aus der Asche neu erscheinen sollten. Die Verbrennung gelang. Aber es gelang ihnen nicht, die sechsundzwanzig Millionen Kronen in nicht nummerierten Scheinen wiederauferstehen zu lassen.
    Was uns Kinder wundert, ist nicht, dass Mutter und Vater etwas Großes verbrannt haben. Das haben sie schon oft getan. Meine Mutter ist auf Finø als erfahrene Pyrotechnikerin bekannt, die jahrelang das

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