Die Kinder der Elefantenhüter
großen Schritt in Richtung Knast machen, acht Jahre mindestens.
Der nächste Stapel Papier sind Rechnungen, und zunächst ergeben sie keinen Sinn. Alles Einkäufe innerhalb der letzten drei Monate von vielleicht zwanzig verschiedenen Firmen, einige im Ausland. Wir blättern auf gut Glück und finden Rechnungen für Elektronik, die bei El-Skov in Grenå eingekauft wurde, Beschläge von Møll & Madammen in Anholt-Stadt, Overalls aus imprägniertem Bibernylon von Rugger & Rammen auf Læsø. Eine Rechnung für zwei Mobiltelefone und SIM-Karten, eine für sogenannte closed cell-foam Schienbeinschützer sowie zwei Rechnungen von der Pumpenfabrik Grenå für sogenannte »Spritzpumpen«. Wir finden Rechnungen für Stoppuhren, Tauwerk aus Neonpropylen und eine unerklärliche Rechnung für etwas, das »18 Fuß Wavebreaker« heißt, der fünfzigtausend gekostet hat, hinzu kommt ein Außenbordmotor mit vierzig PS, der zusätzliche fünfzigtausend kostete. Und das, wo man doch weiß, dass Mutter und Vater sich freiwillig nie auf etwas Unstabileres als die Finø-Fähre gewagt haben. Dann kommen mehrere Rechnungen in Sprachen, die wir nicht verstehen, und schließlich eine Quittung, die wir besonders nachdenklich betrachten, und zwar für fünf Zweihundert-Liter-Kanister Schmierseife, ausgestellt von der Samsø Sanitäts- AG .
Wir sehen uns an.
»Das ist die Ausrüstung«, sage ich. »Um den Raubüberfall zu verüben.«
Wir machen das letzte Päckchen auf, es enthält einen USB-Stick, sonst nichts.
»Wir müssen zu Leonora«, sagt Tilte. »Und an das buddhistische Mitgefühl appellieren.«
Wir erlauben uns, ohne anzuklopfen einzutreten, Leonora telefoniert. Sie wirft uns eine Kusshand zu.
»Hör gut zu, Süße«, sagt sie zu der Frau am anderen Ende, »ich steche gerade in offene See, da gibt es keinen Empfang mehr, die Verbindung dürfte gleich unterbrochen sein. Du machst jetzt Folgendes: Du ziehst den Galgenknoten strammer, versetzt ihm fünf Saftige mit der Angelrute, siehst ihm in die Augen und sagst zu ihm: Spüre die Liebe, Fettwanst.«
Die desperate Hausfrau am andern Ende protestiert.
»Natürlich geht das«, sagt Leonora geduldig. »Aber Liebe ohne Filter, das ist zu heftig. Deshalb müssen wir mit den Daumenschrauben und dem Dildo und der Garotte anfangen. Das ist wie eine Sonnenbrille, weil sonst das Licht zu grell ist. Das heißt, du musst ihn schrittweise daran gewöhnen. Bis zum Herbst ersetzt du die Flagellation durch einen liebevollen Knutschfleck. Bis das Jahr um ist, reichen dann Fußketten und Nilpferdpeitsche.«
Die Verbindung bricht ab. Leonora murmelt ein Mantra, um ihren Ärger unter Kontrolle zu bekommen. Tilte legt ihr den Speicherstick hin.
Wir starren auf den Schirm, natürlich hat Leonora ihren PC dabei, und natürlich hat die Weiße Dame einen DSL-Anschluss. Der Rechner fährt hoch, Leonora wirft einen Blick auf den Schirm, und diesmal hilft kein Mantra, nur ein grässlicher Fluch.
»Es gibt einen Zugangskode. Da ist nichts zu wollen.«
»Du knackst den Kode«, sagt Tilte.
»Das dauert drei Tage. Wir sind in neun Stunden da.«
Tilte schüttelt den Kopf.
»Abgesehen von der Geschichte mit der Stimmenerkennung sind Vater und Mutter erbärmlich in Sachen Computer. Sie haben schon Probleme, auf die Schul-Homepage zu kommen und nachzugucken, wann der nächste Elternabend ist. Die Kodierung muss kinderleicht sein.«
»Selbst Standardverschlüsselungen können labyrinthisch sein«, sagt Leonora.
Tilte und Basker und ich sagen nichts. Aber in unserm Schweigen liegt ein sanfter Druck.
Sehr, sehr oft, wenn sie von den vegetarischen Gerichten die Nase voll hatte, hat Leonora ihr Retreat kurz unterbrochen und ist zum Pfarrhof hinuntergeschlichen, wo Vater Kalbsfilet Cordon Bleu servierte und Schweinesülze und Entenrillettes und zwei, drei Dreiviertelliterflaschen unseres Finøer Spezialbräus.
Das heißt, Leonora kann uns nicht einfach ignorieren. Sie ergibt sich in das Unvermeidliche, und dann schleicht sich noch etwas in ihren Blick, das man oft bei Erwachsenen bemerkt, die einen seit langem kennen, und das vielleicht eine Verwunderung darüber ist, dass sie selber nicht vom Fleck kommen, während unsereiner volle Kanne Fortschritte macht.
»Als ihr klein wart«, sagt Leonora, »wart ihr richtig sanftmütig.«
Sie öffnet die Kajütenbar und holt eine Flasche kalten Weißwein heraus.
»Das ist mein Tsok «, sagt sie. »Das ist tibetanisch für ›Schatz‹. Es ist die Art, etwas
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