Die Kinder der Elefantenhüter
dass wir Vibe herausholen können, ehe noch andere Leute kommen. Und ganz richtig, die Küche ist leer, keiner hat uns gesehen, denn wir haben aus unserem Versteck hinter einer Tür vorsichtig Ausschau gehalten, und jetzt sind wir auf allen vieren, und im Schutze von Tischen und Stühlen kriechen wir hinter die hohe Serviertheke, die die Küche vom Salon trennt, und sind außer Sicht.
Wir sind auf eine Kommandoaktion vorbereitet, zack in den Kühlraum, Vibe gepackt, auf einen unbeobachteten Augenblick gewartet und ab durch die Mitte! Für Tilte und mich wird es wie das Pflücken einer reifen Frucht in einem Finøer Garten sein. Aber nun ereignen sich ein paar Begebenheiten, die es verständlich machen, warum Eckhart und die Zen-Patriarchen und die vedischen Seher und die Sufi-Scheiche sich angeblich zumindest in einem Punkt einig waren. Wenn man sie bat, die Welt mit einem Wort zu beschreiben, sagten sie allesamt: »Unstabil«.
Das erste ist, dass plötzlich Rickardt Graf Tre Løver den Salon betritt. Er hat seine Erzlaute dabei, und die Tatsache, dass es Bullimilla durchzuckt, wie wir aus unserem Versteck genau sehen können, bestätigt meinen lang gehegten Verdacht, dass sie es war, die kurz vor der Abreise versucht hat, Rickardts Instrument zu verstecken – zweifellos aus Angst, er könne mitten beim Essen mit seiner Performance anfangen.
»Meine Damen«, sagt Graf Rickardt, »ich habe mich dazu überreden lassen, zum Essen zu singen. Es wird aus der Lustigen Witwe sein.«
Bullimilla versucht einen lahmen Protest.
»Es gibt Kanapees, die passen vielleicht nicht so gut zu Musik.«
Wir hören die Sporen des Grafen über den Boden klirren, er nimmt das kalte Buffet in Augenschein.
»Ach, die Winzlinge«, sagt er. »Die werden niedergesungen.«
In diesem Augenblick hat Tilte sich vorgebeugt, Rickardt ein Zeichen gemacht und den Finger auf die Lippen gelegt und sich schnell wieder hinter der Theke verzogen. Graf Rickardt ändert den Kurs.
»Ich will nur eben die Akustik testen«, erklärt er Bullimilla.
Dann ist er um die Theke herum und bei uns, und wir zerren ihn durch die Küche in den Kühlraum und befreien Vibe von den Tüten.
»Die muss hier weg, ehe es zu spät ist«, sagt Tilte. »Wo ist der Sarg?«
Rickardt scheint nicht sehr begeistert, Vibe wiederzusehen.
»In meiner Kabine«, sagt er.
In dem Moment geht die Tür zum Kühlraum langsam auf, schnell verstecken wir Vibe wieder unter den Plastiktüten und ducken uns hinter den Rollstuhl.
Die Person, die eintritt, hatten wir wahrscheinlich zuallerletzt erwartet, nämlich Alexander Bister Finkeblod. Er bleibt eine Sekunde stehen, um sich an die schwache Beleuchtung zu gewöhnen. Dann bewegt er sich auf den Rollstuhl zu.
Er bleibt einen halben Meter vor uns stehen. Ein Schritt mehr und er hätte uns gesehen, was eine Situation heraufbeschworen hätte, aus der sich herauszureden ziemlich anspruchsvoll gewesen wäre.
Aber er sieht uns nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf ein Regal, auf dem augenscheinlich eine Reihe vakuumverpackter Schafshirne lagert, bestimmt von den besungenen Finøschafen, daneben stehen zwei Flaschen Champagner. Finkeblod befühlt die Flaschen, scheint unzufrieden, stellt sie zurück, dreht sich um und ist raus und weg.
Wir atmen erleichtert auf, und wenn man in einem Kühlraum erleichtert aufatmet, steht die Atemluft wie weißer Dampf im Raum. Wir öffnen die Tür, die Küche ist leer, Graf Rickardt rollt Vibe hinaus, Tilte, Basker und ich sind als Vorposten schon an der Theke, wo wir uns auf den Boden legen und vorsichtig Ausschau halten, ob die Luft rein ist.
Leider nicht. Der Tisch, der der Küche am nächsten steht, ist besetzt. Von der Sekretärin Vera, von Anaflabia Borderrud und von Professor Thorlacius samt Gattin, eine Kerngruppe, zu der noch Alexander Bister Finkeblod und Lars und Katinka, die beiden Kriminalbeamten aus dem Polizeilichen Nachrichtendienst, gestoßen sind.
Tilte und ich brauchen keine Worte zu wechseln, wir wissen, was der andere denkt. Der andere denkt, was hat der Abgesandte des Ministeriums mit Anaflabia und Thorlacius zu schaffen?
Wir brauchen auf die Antwort nicht zu warten.
»Noch fünf Minuten«, sagt Alexander Finkeblod mit zufriedener Stimme. »Champagner darf nicht mehr als zehn Grad haben. Besonders zu einer Gelegenheit wie dieser. Und unsere bezaubernde Küchenchefin hat die Kristallgläser herausgeholt.«
Bullimilla stellt Gläser auf den Tisch. Als sie weg ist, beugt
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