Die Kinder der Elefantenhüter
sich Anaflabia vor. Sie spricht gedämpft, was bei ihr bedeutet, dass man auch auf dem Vordeck noch jedes Wort verstehen dürfte.
»Ich habe eben eine Mail bekommen. Von Bodil Fisker, Gemeindedirektorin des Bezirks Grenå. Sie haben Professor Thorlacius’ Einschätzung erhalten, nachdem wir das Pfarrhaus untersucht und mit den Kindern gesprochen haben. Die Diagnose lautet ›schwere endogene Depression‹. Die Bezirksverwaltung unterstützt uns. Morgen werden Kirchenministerium und Gemeinderat in einer gemeinsamen Erklärung bekanntgeben, dass Konstantin Finø als Pfarrer und Clara Finø als Organistin entlassen sind. Ihr psychologischer Zustand wird nicht Teil der Pressemitteilung sein. Aber ausgesuchten Journalisten geben wir zu verstehen, dass uns Aussagen von Experten vorliegen, nach denen beide an schwerer Depression leiden. Bodil hat uns versprochen, dass das Sozialamt die Kinder entfernt, und sobald sie gefunden sind, werden sie getrennt. Wir haben gesagt, dass unserer Meinung nach besonders das Mädchen einen schädlichen Einfluss auf den minderjährigen Bruder hat. Er soll ins Kinderheim Grenå, sie wird bis aufweiteres im geschlossenen Jugendwerkhof auf Læsø untergebracht. Die Presse wird über ihren Aufenthaltsort nicht unterrichtet. Das heißt, egal womit die Eltern beschäftigt sind, wir können es vertuschen oder zumindest sagen, es sei von Personen ausgeführt worden, von denen die Kirche sich getrennt und distanziert hat. Von Alexander Finkeblod haben wir das gesamte Sündenregister der Kinder aus den letzten zwei Jahren, eine Liste, die nach einem Eingreifen der Vollzugsgewalten geradezu schreit und aus der beispielsweise hervorgeht, dass der Junge einen Wasserkopf hat. Also, Freunde: Eine sehr schwierige Situation ist geklärt. Wir haben uns wirklich ein Glas verdient!«
Bevor ich meinen Bericht fortsetzen kann, muss ich mich an dieser Stelle von jedem Verdacht reinigen und die Sache mit dem Wasserkopf erklären.
Es liegt zwei Jahre zurück, Mutter und Vater sind auf der mittleren ihrer drei Tourneen, die mit Untersuchungshaft und Propsteigericht enden, und Conny und ich, wir kennen uns, seit wir klein sind – so geht es allen in der Städtischen Schule Finø. Aber seit dem Ereignis im Fass, das acht Jahre her ist und das mir einen Schock versetzte, obwohl ich selbst darum bat, seitdem hatte ich keinen engeren Kontakt zu ihr, und so wie es mir mit ihr schon auf Entfernung ergeht, sehe ich ehrlich gesagt auch keine Möglichkeit, genug Mut zu fassen, damit sich das jemals ändert.
Kennst du diese Mädchen, die ständig ihre Haare hochstecken, aber immer anders? Conny ist so eine. Kaum hat man sie, sagen wir, zehn Minuten aus den Augen gelassen, hat sie eine andere Frisur, das bedeutet aber auch, dass ihr Nacken, wenn man in der Klasse hinter ihr sitzt, auf immer neue Weise sichtbar wird.
Hier geht es nun um folgende Situation: Alexander Finkeblod hat eben als Schulleiter angefangen und selbst einige Unterrichtsstunden übernommen, um sich unseres niedrigen Niveaus zu versichern, und in diesem Augenblick haben wir ihn in Geschichte, er ist dabei, einige unvergessliche Details über General Hannibals Überquerungder Alpen zu skizzieren, als mein Blick aus einem nie zuvor erlebten Winkel auf Connys Nacken fällt. Oben ihr braunes Haar mit einem Hauch von Rot, vielleicht die erste Ahnung des Sonnenaufgangslichts, das durch die Kastanienbäume fällt, wenn man morgens um vier vom Möweneiersuchen zum Pfarrhof heimkehrt, wenn du verstehst, was ich meine. Dann kommt ein Bereich mit feinem Flaum, der allmählich goldener wird und dann verschwindet, und darauf folgt die weiße Haut, aber es ist ein tiefes Weiß wie das Perlmutt in den großen Austernschalen, die man am nördlichen Leuchtturm findet, es ist, als könnte man durch die Haut hindurchblicken. Als meine Untersuchungen so weit gediehen sind, stelle ich mir vor, wie die Stelle wohl duftet und wie sie sich wohl anfühlt, wenn man sie berührt, und zu diesem Zeitpunkt ist Hannibals Marsch über die Alpen ein wenig in den Hintergrund gerückt, und plötzlich steht Alexander Finkeblod vor mir und strahlt eine Menge jenes militärischen Furors aus, mit dem, könnte man sich vorstellen, auch Hannibal seine Umgebung geplagt haben mag.
Er packt mich am Arm, und das muss man ihm lassen, er hat einen Griff wie eine Rohrzange.
»Du stellst dich auf den Gang«, sagt er, »und wartest, bis die Stunde zu Ende ist. Dann gehen wir zu Birger, damit wir
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