Die Kinder der Elefantenhüter
ich überrede ihn doch, mit mir in die Klinik zu kommen. Wir machen die Tür auf. Leer! Die Leiche ist weg!«
Tilte und ich wechseln einen Blick. Durch ein phantastisches Timing ist Alexander genau in dem Moment fort gewesen, in dem wir Vibe geholt und in ihren Sarg gebettet haben. Ein solches Zusammentreffen kann dazu führen, dass man seine Zweifel an der kosmischen Gerechtigkeit noch einmal überdenkt.
»Ich verlange eine Untersuchung. Man hält mich zum Narren. Deutet an, ich hätte gestern zu viel getrunken. Deshalb komme ich jetzt her. Um einen Todesfall zu melden. Möglicherweise ein Verbrechen. Irgendjemand hat die Leiche aus dem Weg geräumt.«
Die weiße Dame schaukelt leicht, wir haben am Langelinie-Kai angelegt, den Rumpf durchläuft ein murrendes Beben, das verrät, dass ein Landungssteg angelegt wird.
Langsam steht Katinka auf.
»Wenn ich zusammenfassen darf«, sagt sie, »die sterbende Schiffsärztin fährt gestern in der Kutsche zum Schiff, heuert an, geht nach oben in den Kühlraum des Restaurants, wo sie ein kleines Nickerchen macht. Denn wenn ihr euch erinnert: Dort haben wir nach ihr gesehen. Daraufhin geht sie zur Schiffsklinik, findet sich zu ihrer Schicht ein und verscheidet. Um heute in aller Herrgottsfrühe entführt zu werden.«
»Ja«, sagt Thorkild Thorlacius. »So muss es abgelaufen sein.«
»Bleibt noch das Detail, wo die Leiche geblieben ist«, sagt Katinka.
»Ja«, sagt Thorkild Thorlacius, »das ist die einzige kleine Unklarheit.«
Thorkild Thorlacius ist von Katinkas Talent, die Dinge auf den Punkt zu bringen, sichtlich beeindruckt. Auf die verhohlene Polizeiironie in ihrer Stimme achtet er allerdings weniger.
»Gestern«, sagt Katinka, »als Lars und ich Sie alle aus dem Arrest entlassen haben, was, wie wir heute erkennen müssen, ein bitterer Irrtum war, haben Sie sich« – sie zeigt auf Thorkild Thorlacius – »als Hirnforscher vorgestellt. Ich schlage vor, dass Sie sich und ihre Kumpanen gleich hier von der Langelinie aus an einen Ort begeben, an dem sie alle ihr Hirn unter die Lupe nehmen lassen können. Und ich finde, den Herrn mit der Betonfrisur können Sie gleich mitnehmen.«
Bei diesen Worten macht sie eine Kopfbewegung in Richtung Alexander Finkeblod.
Dabei lässt sie Thorkild Thorlacius eine Sekunde lang aus den Augen.
Das war unvorsichtig. Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden haben Tilte und mir die Augen dafür geöffnet, dass Thorlacius ein Temperament wie eine spanische Donna hat, was durch die Schläge, die ihm das Schicksal zuletzt versetzte, noch verstärkt wurde. Und dann ist da noch seine Vergangenheit im Akademischen Boxklub.
Und ganz richtig. Er ist aufgesprungen wie der Teufel aus der Schachtel und verpasst Katinka einen Haken Richtung Zwerchfell.
Es ist ein Schlag mit viel Gewicht dahinter. Hätte er sein Ziel erreicht, hätte Katinka lange dran zu kauen gehabt. Aber er kommt nicht an. Denn eine Hand, schwerwie ein Fleischerbeil, fällt dem Professor auf den Arm und unterbindet den Schlag. Die Hand gehört Bullimilla.
»Was hab ich da über die Kanapees gehört?«, sagt sie.
Thorkild Thorlacius ist eigentlich nicht der richtige, um die Frage zu beantworten, aber er tut es trotzdem, und die Antwort ist eine gerade Linke auf Bullimillas Schläfe.
Auch der Schlag kommt nicht an. Denn von hinten kommt Katinka, packt die Hand des Professors, dreht sie um und drückt ihn nach unten auf den Tisch. Mit derselben gleitenden Bewegung hat sie ihre Handschellen bereit, und zum zweiten Mal innerhalb vierundzwanzig Stunden werden dem Professor die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Tilte und ich haben mit großem Interesse gelesen, wie sich um die großen Mystiker herum ein Muster des entgegengesetzten Geschlechts bildet, wie zum Beispiel die Frauen um Jesus und Buddha und Ejnar Tampeskjælver Fakir, der nie ausgeht, ohne von seiner Mutter und seinen Töchtern und mindestens zwei Topspielerinnen begleitet zu werden. Tilte und ich haben davon gesprochen, dass es sich vielleicht um ein System handelt, dass jedes Mal in Gang gesetzt wird, wenn sich eine außergewöhnliche Persönlichkeit entwickelt, eine Theorie, die auch hier am Tisch Nahrung erhält, wo die Frauen um Thorkild Thorlacius keineswegs vorhaben, stillschweigend auf ihren Hefeteilchen herumzukauen, während das Alphatier abgeführt wird.
In der einen Sekunde sitzt seine Frau und nippt am Kräutertee und knabbert am trockenen Knäckebrot, in der nächsten speit sie Feuer und Rauch
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