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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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nicht recht kapieren. Sie warten immer noch auf eine Antwort, wer Tilte und ich sind.
    »Wir sind bloß die Chorsänger«, sage ich. »Wir begleiten die großen Trancetänzer, Alexander und Thorkild, die dort oben auf der Treppe stehen.«
    »Sie tragen Handschellen«, sagt einer der Journalisten.
    »Nur damit sie sich nicht selbst verletzen, wenn sie in Trance fallen«, sage ich.
    »Und die Verstorbenen kontaktieren«, fügt Tilte hinzu.
    Wir sind uns nicht ganz im Klaren, wie die Journalisten ihre Zeit priorisieren, aber nun wird deutlich, dass wir zu Recht vermutet haben, dass Trancetanz und Kontakt zu Toten ganz oben in der Liste stehen, denn die ganze Abwehrmauer setzt sich in Bewegung und schiebt sich den Landungssteg hinauf, wo sie Lars aufhält und zur Reling zurückdrängt.
    Nun bricht seine überlegene körperliche Fitness durch, denn er fegt fünf, sechs Journalisten aus dem Weg, als wären es Kegel, und einen kurzen, bedrohlichen Augenblick lang hat er freie Sicht.
    Dann wird er ernsthaft eingeschlossen. Von Lama Svend-Helge, Gitte Grisanthemum, Sindbad al-Blablab und ihrem Gefolge, es sieht fast zufällig aus, als wollten sie sich nur ein wenig umschauen, aber in ihren Gesichternsehen wir jenes verfeinerte Mitgefühl, das Adelszeichen großer Religionen.
    Wir wollen uns schon umdrehen und in der Menschenmenge verschwinden, als der erste Journalist Thorkild Thorlacius erreicht und ihn mit lauter Stimme fragt, ob er denke, dass Trancetanz auf der Konferenz ein großes Thema sein werde, und ob er für die Zuschauer vielleicht ein paar Schritte machen wolle.
    Gebannt schauen wir zu und hören deshalb auch die zweite Frage, die an Alexander Finkeblod gerichtet ist, ob er kürzlich mit Verstorbenen in Kontakt getreten sei.
    Nach der Frage ertönt ein Schrei, woraus hervorgeht, dass Alexander dem Journalisten einen Tritt versetzt haben muss, die Hände hat er ja nicht frei. Daraufhin bricht auf der Gangway ein Tumult aus, und zwar so einer, den man gemeinhin Handgemenge nennt. Aber da haben Tilte, Basker und ich schon ein weißes Stäbchen in den Mund genommen und uns unsichtbar gemacht.

 
    Wir schlängeln uns durch die Zuschauer und fegen an den haltenden Autos vorbei. Wenn man wie wir mit einer Schiffsladung unberechenbarer Typen eingeschlossen war und nun auf einmal die weite Welt vor sich sieht, verspürt man den Drang, einen Jubelschrei auszustoßen. Wir wollen es eben tun, da packt uns die Pranke eines Hafenkrans und hebt uns in die Luft.
    Viele hätten in dieser Lage das Handtuch geworfen, ich nicht. Ich habe unzählige Treffer aus so einer Position erzielt, eingeklemmt zwischen vier Abwehrspielern, die nach Hollywood gehen und die Rolle von King Kong hätten übernehmen können; man hätte sie nicht mal maskieren müssen. Ich hatte vielleicht ein Hundertstel Millimeter, um mich zu drehen, aber wer stark im Glauben ist, für den ist ein Hundertstel Millimeter völlig ausreichend, auch jetzt wieder, ich drehe mich und verpasse dem Mann hinter mir einen herzlosen Tritt.
    Es ist ein Gefühl, als träte ich gegen einen hart aufgepumpten Traktorreifen, es gibt etwas nach, aber rührt sich nicht von der Stelle, und es kommt kein Geräusch. Ich kenne nur eine Person, die eine derartige Widerstandskraft besitzt, ich lege den Kopf zurück und blicke in die blauen Puppenaugen, die unserm Bruder Hans gehören.
    »Ein hübscher kleiner Stoß, Bruderherz«, flüstert er, und ich höre an der Stimme, dass meine Attacke seine Atmung trotz allem kurzzeitig aus der Bahn geworfen hat.
    Dann macht er die Tür des Autos auf, neben dem wir stehen, setzt uns auf die Rückbank, gleitet hinters Steuer, und weg sind wir.
     
    Obwohl wir Hans’ Gesicht nur flüchtig gesehen haben, ist es doch deutlich, dass sich etwas daran verändert hat, auch an der Tatkraft, die er jetzt an den Tag legt. Einen Teil der Erklärung bekommen wir gleich, im Fond sitzt nämlich schon jemand in einem uns bekannten Pullover und in Laufschuhen, es ist die milchkaffeebraune Sängerin vom Blågårds Plads.
    »Ihr habt Aschanti ja schon mal getroffen«, sagt Hans.
    Ehrlich, die Art, wie er das sagt, versetzt mir gleichsam einen Schlag. Obwohl etwas anderes auf der Tagesordnung steht, obwohl wir die Langelinie entlangfahren und viele Fragen zu Vergangenheit und Zukunft anstehen, die beantwortet werden wollen, beschäftigt mich sekundenlang etwas anderes. Denn als Hans ihren Namen ausspricht, Aschanti, tut er es wie meine einstige Liebste, die nun vom

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