Die Kinder des Dschinn Bd. 7 - Die Kristalle des Khan
Und so interessant das alles sein mochte, erschien es Philippa doch nicht wirklich wichtig, zumindest nicht im Zusammenhang mit ihrer dringenden Mission, die Welt vor einem heimlichen Drahtzieher zu retten, der möglicherweise irgendwelche mysteriösen uralten Kristalle aus der Gruft Dschingis Khans benutzt hatte, um sämtliche Vulkane auf der Welt gleichzeitig aktiv werden zu lassen. Worauf lief das alles hinaus?
Als sie das nächste Buch aufhob, nahm die Sache eine düstere Färbung an, so als hätte sich eine Wolke aus Vulkanasche vor den heiteren blauen Himmel ihres geistigen Auges geschoben. Der Titel des Buches klang ziemlich mysteriös:
Eine Neubetrachtung von Romulus und Remus: Die Geschichte der Kindesopfer
vonProfessor Martin Moustache. Die unterstrichenen Passagen in diesem Buch ließen Philippa sehr verstört zurück:
Der Brauch, übernatürlichen Kräften Kinder zum Opfer zu
bringen, zieht sich durch die gesamte Historie. Die wahrscheinlich berühmteste Überlieferung eines Kinderopfers geht auf Abraham und seinen Sohn Isaak in der biblischen Schöpfungsgeschichte zurück, auch wenn sich Gott in diesem Fall natürlich einschaltete und Isaak verschonte. So
gut wie alle Zivilisationen haben Kinderopfer dargebracht,
wobei die Karthager wohl die Berüchtigtsten waren. An einer karthagischen Ausgrabungsstätte im modernen Tunesien entdeckte man eine Begräbnisstätte mit den Gebeinen von zwanzigtausend Kindern. Auch im alten Rom war es
Sitte, Kinder zu opfern: Romulus und Remus zum Beispiel,
die neugeborenen Söhne des Gottes Mars, die man in den
Tiber warf. Doch die beiden überlebten, wurden von Wölfen aufgezogen und gründeten das alte Rom.
Zwillinge fielen dem Brauch der Kinderopfer besonders
häufig anheim. Einige afrikanische Gesellschaften, wie die
Hottentotten im südwestlichen Afrika oder die Buschmänner der Kalahari, töteten Zwillinge, weil sie glaubten, sie brächten Unglück. Die Ureinwohner Hawaiis warfen
Kinder regelmäßig den Haien zum Fraß vor oder stürzten
sie in Vulkane, um ihre Götter zu besänftigen. Auch der
Stamm der Kikuyu in Afrika praktizierte die Zwillingstötung, was möglicherweise mit den zwei Dutzend Vulkanen zusammenhing, die in Kenia zu finden sind.
Auch in den präkolumbianischen Zivilisationen Südamerikas finden sich zahlreiche Belege für Kindesopferungen. So
brachten die Azteken regelmäßig dem Vulkangott Xiuhtecuhtli Kinder zum Opfer, insbesondere Zwillinge; möglicherweise wurden diese unglücklichen Wesen in die mit
Lava gefüllten Krater geworfen, um Ausbrüche zu verhindern. Auch bei den Inkas war dieser Brauch verbreitet, da sie besondere Kinder wie Zwillinge oder körperlich vollkommen wirkende Kinder als beste Opfergabe für Apu erachteten, ihren Gott der Berge und der Vulkane, sowie für Catequil, den Gott über Donner und Blitz.
Philippa zog angewidert die Nase kraus und schlug das Buch krachend zu.
»Schrecklich, schrecklich, schrecklich!«, rief sie. »Warum tun Menschen nur so furchtbare Dinge?«
Und warum hatte ihr Onkel diese Passage unterstrichen?
Doch es war das fünfte Buch, das sie am meisten verstörte. Es war das älteste Werk und trug den Titel:
Es war zweimal: Die Bedeutung von Zwillingen und wie sie die Welt vor sich selbst retten werden. Eine Prophezeiung von Taranuschi
.
Natürlich wusste Philippa nur allzu gut, dass Taranuschi der Name des ersten großen Dschinn war, weshalb die Marid sein Andenken in hohen Ehren hielten. Bevor es die sechs Dschinnstämme gab – von denen die Marid unter den guten Dschinn der mächtigste Stamm waren –, hatte Taranuschi die Aufgabe, die anderen Dschinn zu kontrollieren. Allerdings wurde er von einem bösen Dschinn namens Azazal bekämpft und geschlagen.
Ahnungslos schlug Philippa das Buch auf und begann, eine weitere Passage zu lesen, die ihr wissbegieriger Onkel mit brauner Tinte unterstrichen hatte.
Bei den Dschinn sind Zwillinge selten, sehr selten, aber selbst unter ihresgleichen verfügen sie über besondere Kräfte und tiefe Bande, die alle Dschinn – ob gut oder böse – zu Recht fürchten sollten, vor allem dann, wenn diese Zwillinge noch Kinder und ihre Bande fester sind als bei erwachsenen Zwillingen, die einander häufig fremd werden. Ihre besondere Macht beruht auf dem Umstand, dass sie zwei Hälften des gleichen Ganzen sind, welches, mit zwei multipliziert, doppelt so mächtig ist wie eines. Sie gehen Aufgaben häufig gemeinsam an, und genau darin liegt ihre
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